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Semlitsch« 87 Semitisch
war er eine Leiche. Er befand sich Nach.
mittags 4 Uhr sitzend auf dem Sopha,
ganz angekleidet, den Stock in der Hand,
da er die Absicht hatte, in's Freie zu
gehen, welche er nur auf deS Arztes drin»
gendes Bitten, zu Hause zu bleiben, auf-
gegeben. Fünf Minuten spater hatte er
ausgehaucht. Er liegt zu RoAnau begra«
ben. Am Tage seines Ablebens wurde
in Wien im Carltheater zu seinem Vor»
theil eine Vorstellung gegeben. Das
Ergebniß derselben war ein glänzendes;
ör hatte es nicht mehr nöthig, es wurde
zur Bestreitung der Leichenfeier verwert»
der, der Rest kam seiner armen, nun
ihTcr ganzen Stütze beraubten Mutter zu.
Ein größeres, zusammenhangendes Werk
aus seiner Feder liegt nicht vor, und nicht
unberechtigt war der hie und da ausge»
sprochene Wunsch, seine bedeutenderen,
zerstreut in Journalen gedruckten Auf»
sätze zu sammeln, da
sie.
geschickt geordnet,
einen werlhvollen Beilrag zur Geschichte
der Fünfziger'Iahre, namentlich deS Wie»
ner geistigen Lebens, bilden würden; es
kam nicht dazu. Nach einem Gerüchte. daS
nie widersprochen, aber auch nicht auf-
geklärt worden, wurde S em l i t sch als
der Verfasser der feiner Zeit vielgenann-
ten Parodie „Tschindara" in den „Flie-
genden Blattern" bezeichnet. Eine befon»
dere Schwäche besaß S., er wollte um
jeden Preis als Lyriker gelten und hatte
auch nicht eine Ader dazu. Denn seine
Parodien derSaphi r'fcheu „ Wilden Ro«
sen" sind wohl köstliche Reimereien, aber
dochnichtZeugniffe eines lyrischenTalentes.
Was aber sonst noch von seinen lyrischen
Gedichten hie und da erschien, ist, mit
einer Ausnahme, das Gedicht: „Ich habe
Hich me! zn liek". in der Gratzer,IriS" 1863,
Bd. I, 2. Lief., nichts als eine reine Ver«
neinung aller Lyrik. Das Urtheil über S.
als Journalist und Schriftsteller aus dem,i Munde seiner Freunde klingt einiger»
maßen übertrieben. Sigmund S ch lesi n«
ger, der in Semlitsch's Physiognomie
eine unverkennbareAehnlichkcit mitH eine
finden will. das namentlich in der letzten
Zeit bei dem Hervortreten des sterbe«
haften GestchtSausdruckes in peinlicher
Weise an das bekannte Bild Heine's
auf dem Sterbebette mahnte, charakterisirt
S. als einen unermüdlichen, unerschrocke-
nen Kampfer, der vor allem den Zusam-
menhang aller Gebiete deS Menschen»
lebenS und der menschlichen Thätigkeit
kannte; der wußte, daß stch da nichts
sondern, nichts trennen läßt. da^ Kunst
und 3eben und Individium und Gesammr»
heit im innigsten, inneren Verbände sind,
und daß sich nichiS an und für ficb
betrachten und nichts auf dem einen
Gebiete absolut gut heißen lafse, waS
schädlich auf ein anderes hinüberwirken
könne. „Ertrug," schreibt Sch le sing er,
„an sich alle Züge des Journalisten
Bo lz in Frei tag'S „Journalisten"; er
war ohne anderen Ehrgeiz als witzig und
bedeutend zu. schreiben; zu flüchtig, zu
unruhig, zu zerstreut für ein writeres
Streben, für eine gesammeltere Arbeit;
Satans Tagesküche, auö der die Men«
schen regalirt werden, büchscnweise durch»
kostend und sich deßhalb Manches zu-
gute. halten lassend; müde der geballten
Faust, sich nach und nach spitzer Zunge
und spitzer Feder bedienend, bienengleich
die Welt durchsuchend, um Honig zu '
saugen, wo er ihn fand, freilich öfter
stechend, wo ihm was mißfiel und eigens
nach Dingen suchend, die ihm zu miß-
fallen, dem Stachel Beschäftigung zu
geben vermöchten. Dabei ein angeneh-
mer, anregender Gesellschafter, leicht,
witzig, sarkastisch, aber ebenso gerüstet,
dem ernsten Gesprach durch tüchtigen
Geistes, und felbsterworbenen Wissens»
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Seidl-Sina, Volume 34
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Seidl-Sina
- Volume
- 34
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1879
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 402
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon