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Skoda, Joseph ^ Joseph
und Forschers über die Nothwendigkeit und
Folgen der verschiedenen Herzbildungen, er
beweist, wie vor ihm noch Keiner, daß man
aus den Tönen und Geräuschen, die den,
horchenden Ohre des Arztes entgegenhallen,
alle Veränderungen des erkrankten Herzens
so genau erkennen kann, wie der Anatom,
der das Herz mit dem Secirmesser zerlegt,
und nachdem er während einer Stunde die
scharfsinnigsten Beweise geführt und die rich-
tigsten Schlüsse gezogen, wendet er sich an
den Vatienten und fährt also fort: „Was
diesen Kranken anbelangt, so ist sein Puls
sehr klein, düim, fadenförmig, kaum fühlbar,
kalter, klebriger Schweiß tritt auf seine Stirne,
die Augen werden verglast, der Athem unmerk.
lich der Patient hat aufgehört zu
lebeil". Und so war es. Dieser unerwartete
Schluß seiner Rede machle auf die Zuhörer,
die nur auf den Vortrag gelauscht und den
Patienten gänzlich vergessen hatten, einen
erschütternden Eindruck. Die gleichmäßige
Ruhe, mit welcher skoda gesprochen, die
er bei seinen Volträgen. und sei es am Bette
eines Sterbenden, immer bewahrte, verschaff«
ten ihm bei dem großen Publikum den Ruf
der Gleichgilligkeit, der TheilnahmSlosigkeit.
Und doch war es nicht ganz so. — So trug er
denn-seit langer Zeit, seit er Student und
ehe er noch einer der hervorragendsten Begrün»
der der Wiener medicinischen Schule gewor-
den. „Unaussprechliche" von jenem Schnitte
eines noch unaussprechlicheren Bestandtheils,
wie sie unsere Vorfahren trugen. Doctor
8koda wurde ein berühmter Mann, ein
Iahrzehend nach dem anderen verfloß, aber
während sich Alles änderte, die „Unaussprech'
lichen" mit dem noch unaußsprechlicheren alt'
modischen Bestandtheile «koda's blieben
unverändert. Die Eollegen des Meisters d>,r
Auskultation und Percussion neckten ihn ab
und zu ob der „Unaussprechlichen" u. s w,,
aber Or. .^ koda ließ sich necken un5 sein Kleid
nicht modcrnisiren. Man glaubte, es sei dieß
Haß gegen neue Moden, als plötzlich eines Tages
der berühmte Kliniker in einer gcmz elegan»
ten „Unaussprechlichen" erschien. Allgemeines
Erstaunen, Lächeln, Fragen, und endlich er«
wiedcrte der Gelehrte: „Ich wohnte als Stu»
dcnt und später bei einem Schneider, der
mir viele Gefälligkeiten erwies, der mich
unterstützte. Ich blieb deßhalb sein Kunde,
und da der alte Mann die Beinkleider nur
auf seine Art machte, so trug ich sie, wie er
sie mir brachte, so lange er lebte. Jetzt ist der brave Mann gestorben und ich trage —
moderne Beinkleider". Wohl ist dieser Zug
genügend, um die dem berühmten Manne
angeredete Gemüthlosiqkeit in entsprechender
Weise zu illustriren. — Und noch nach einer
Seite griff man in das Seelenleben des Ge-
lehrten, und das geschah nicht von den Laien,
sondern von seinen Collagen selbst. Doctor
Bernhard Hirsche l in seinem Compendium
der Geschichte der Medicin schreibt im Namen
dieser Partei ausdrücklich: „An die Licht-
seiten der Lkoda'schen Methode heftet sich
ein großer Schatten. »8koda ist es, welcher
im Zusammenhange mit seiner anatomisch'
physikalischen Richtung an einem Einfluß der
Heilmittel auf die Krankheitsvorgänge ver»
zweiftlt. Seine Nüchternheit in dieser Be»
ziehung nahm große Dimensionen an und
wurde zum Unglauben, Sein Skepticismus
der Meinung führte zu ein-em N i b i l i s mu s
der That. Die in solchem Mißtrauen
unternommenen Versuche, welche schon von
vornherein nichts Lebensfähiges prophezeiten,
wurden um so resultatloser. als skoda's
Methode zu erperimentiren, der ersten Vor»
aussetzungen in der Therapie, nämlich der
Kenntniß der Heilmittel und des Individuali»
sirens, entbehrte. Der Aderlaß, der I'a:--
Lu,i-U5 LtidiktuL, das Opium, das Nitrum,
die Tifanen — so ohne Princip und ohne
Differenz sckablonenartig verwendet, mußten
zu gleichtt'isten Resultaten führen, von denen
man ja im voraus überzeugt war. So ward
8koda der wissenschaftliche und „geflissent»
liche" Urheber des Nichtsthuns, welches sich
als expectative oder physiatrische oder diäte»
tische, ja gar als physiologische Methode ge»
bndet (weil es den Gang der Krankheit
unverändert laßt), und welches von dem
großen Haufen seichter und bequemer Nach»
folger so willig acceptirt wird. Die Un-
wissenheit principiell beschönigt und die Ueber,
treibung der Polypharmakosterei in das Er-
trem des die Hände in den Schooß!egens
verwandelt — daS sind traurige Auswüchse
am Baume der Medicin, welche in dem
Boden dieser sonst so tüchtigen Wiener
Schule keimten". Gegen diese Anschuldigung
des Dreüdener Arztes traten selbstverständlich
«k oda'ü Schüler entschieden auf. Sie berich-
ten von ihrem Lehrer, wie er mit unbe«
zwingbc-rer Logik seine Hörer gefangen nahm,
sie nach einer anregenden Exposition in die
schwierigsten Probleme einführte, bis ent-
weder die Lösung gefunden oder die Grenze-
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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Sinacher-Sonnenthal, Volume 35
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Sinacher-Sonnenthal
- Volume
- 35
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1877
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 388
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon