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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Stadion-Stegmayer, Volume 37
Page - 261 -
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Page - 261 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Stadion-Stegmayer, Volume 37

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Staudigl. 261 Staudigl ich singe, namentlich in tragischen Rollen umfaßt die Macht der Melodien mich so seh, und erschüttert mich derart, daß ich weinen könnte, und dann ist es mir immer, als hätte irgend eine unsichtbare Hand meinen Geist berührt und dieß Fühlen und Ahnen, das den Dichter so gewaltig erfaßt, ist der Vor- bote des Wahnsinns." — Eine andere That- fache ist das Folgende. Im Frühling 1833 , sang Staud ig l in Pierson's Oratorium „Jerusalem", welches unter Benedict's Leitung in Ereterhall zu London aufgeführt wurde, und zwar mit so großer Innigkeit und Hingebung an die Tondichtung, daß bei dem schönen und ergreifenden Quintett „Selig sind die Todten" im Saale viele Augen voller Thränen standen. Dies mochte nicht eben Wunder nehmen; daß aber über Stauoigl 's Wangen ebenfalls die Thränen perlten, mußte auffallen, denn wer so viel singt, ist selbst bei den rührend« sten Stellen, wenn er sie ohnedieß schon mehrfach gesungen, wohl nur selten eine Beute seiner Empfindungen; im Allgemeinen denkt ja der Sänger immer weniger an die Empfindung, welche die Musik ausdrückt, als an die Mittel, wie er sie am schönsten und correctestrn dem Publicum gegenüber zur Geltung bringe. Als nach der Vorstellung ein deutscher Musiker den ihm befreundeten Künstler nach der Ursache dieser seltsamen Erregung während seines Vortrages fragte, antwortete dieser: „Es ist etwas Eigenthüm- liches in dieser Musik. Mich verfolgte dabei gestern außerdem ein eigenthümlicher Ge« danke. Vor einigen Tagen speiste ich nämlich bei einer in London lebenden deut- schen Familie; später wurde musicirt, und da mehrere Mitglieder derselben gut musika- lisch sind und außer mir auch noch einc eng« lische Sängerin da war, sangen wir auch dieses Quintett aus „Jerusalem". Eine junge, blasse Dame, welche erst nach dem Diner erschienen war und still in einer Ecke dem Vortrage zugehört hatte, brach in Thränen während desselben aus. Auf dem Heimwege sagte mir ein Freund der Familie, daß die Miß ihren Bräutigam durch den Tod ver- loren habe und sich seitdem in einer Geistes« lahmung, einer traurigen Apathie befinde; seit seinem Tode, der voc zehn Monaten erfolgt war, hatte sie noch keine einzige Thräne gefunden, die ihren Schmerz erleich. tert, ihre Apathie gebrochen hätte. Die Thrä» nen nun, welche ihr der Gesang entlockt, gaben die sichere Hoffnung der Genesung von ihrer bedenklichen Melancholie. Und seitdem verfolgt mich der Gedanke, daß ich auch einmal in meinem Geiste zerstört sein werde; wieder und immer wieder drängt er sich mir auf, und als ich gestern das Quintett sang, sagte ich aus innerstem Herzen zu mir: „Sänge man doch über meinem Sarge dieses rührende Quintett!" Und sein Wunsch ward erfüllt, wie sich seine unheil- volle Ahnung erfüllt hatte. Bald darauf deckte die Nacht des Irrsinns den großen Sänger. — In der ersten Zeit, nachdem Staud ig l in die Heilanstalt kam, gab sich Alles, Aerzte und Publicum, der Hoffnung seiner Genesung hin. Aber allmälig mußte diese aufgegeben werden. Bruno Schön sBd. XXXI, S. 105). viele Jahre Seel« sorg er an der k. k. Irrenanstalt, in welcher S. untergebracht war, berichtet in seinem so interessanten Buche über Geistesgestörte Fol< gendes über S taud ig l : „Joseph Stau» dig l lebt noch. während ich dieses schreibe (1861). Als ich ihm vorgestern an seinem Namenstage gratulirte, lag er im Bette, er kannte mich nicht mehr und sah ganz stumpf- sinnig vor sich hin. Vor zwei Jahren erfreute er sich noch an Musik, wirkte in unseren musikalischen Abendunterhaltungen mit Lust und Liebe mit und verschaffte uns manchen musikalischen Genuß. Noch außerordentlich schön sang er Lieder, besonders einige seiner eigenen Kompositionen, die er noch in ge« funden Tagen herausgab, und das Wunder- lied von Schubert: „Ich komme vom Gebirge her". In Gegenwart von Fräulein Csi l lag, Tiet jens, I>r. Schmid und anderen Künstlern vom k. k. Kärnthnerthor- theater riß er uns alle hin. Sein musika« lisches Gehör, selbst als er schon ziemlich blödgradig war, war doch noch so fein, daß er den geringsten Mißton uemahm und davon unangenehm afsicirt wurde. Sein Ausdruck dafür war meist: „Ei, wie der wieder gikst!" Einer seiner Mitpatienten, ein Künstler auf dem Cello und (Zompositeur nach verschiede» ner Richtung hin, componirte fast täglich ein Lied und legte es mir und Staudig l , zur Beurtheilung vor, der es denn auch classi« sicirte und darauf schrieb: „mittelmäßig, gut, sehr gut, Joseph Staud ig l " . je nachdem er es fand. Da der Compositeur mit ihm per Du. also auf vertrautem Fuße stand, in die Zukunftsmusik wie vernarrt war, wir aber keine besonderen Freunde davon
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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich Stadion-Stegmayer, Volume 37
Title
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Subtitle
Stadion-Stegmayer
Volume
37
Author
Constant von Wurzbach
Publisher
Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
Location
Wien
Date
1878
Language
German
License
PD
Size
13.41 x 21.45 cm
Pages
362
Keywords
Biographien, Lebensskizzen
Categories
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