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S t i f t e r hat einen großen Theil sei«
ner Lebensgeschichte in seinen „Studien"
niedergeschrieben, denn die Personen, die
er darin zeicdnet. die Gegenden, die er mit
dem Griffel des genialen Künstlers dar«
stellt, hat er selbst gekannt, hat mit und
in ihnen gelebt und manche, ja viele
der Scenen, die er so unnachahmlich
schön schildert, selbst mitgelebt, und nur
er selbst hätte sein Leben erzählen kön»
n en. Es hatte ihm gegönnt sein sollen,
es zu thun, denn wir hätten dann ein
Werk erhalten ebenbürtig G o e t h e's
„Dichtung und Wahrheit" und vielleicdt
nur inniger und sinniger, wärmer, und
mit satteren Farben gemalt als jenes,
durch das wohl ein Hauch olympischer
Ruhe hindurchzieht und das unS wohl
fesselt, aber selten erwärmt. Die ver»
schiedenen Versuche, St i f ter 'S Leben
in einem Essai zusammenzufassen, sind
sammt und sonders kümmerlich genug
ausgefallen. Emil Kuh hat ein Langes
und Breites geschrieben, worin auch
Vortreffliches zu lesen, das aber um
zwei Drittheile zu lang und. wie eS den
Anschein hat, geschrieben ist, um ein
dickes Buch zu machen. Hier kann nur
in großen Umrissen sein Leben gezeichnet
werden, denn unsere Aufgabe ist eS. nur
das Gerüste aufzustellen, Steine. Mörtel
und Aufputz muß der eigentliche Bio«
graph herbeischaffen und so den styl»
vollen Bau vollenden. St i f ter 's Va.
ter besaß in Oberplan ein Haus mit
einer kleinen Fcldwirthschaft, war seines
Zeichens eigentlich ein Leinweber, gab
aber das den Mann kümmerlich genug
ernährende Gewerbe auf und betrieb
neben seiner Feldwirthschaft einen klei-
ncn Flachshandel. Seine Mutter Mag-
dalena war eine Tochter des Ober»
planer Fleischhauers Franz Friepeß.
A d a l b e r t , der Erstgeborene, hatte nocb vier Brüder und eine Schwester
am Leben. Außerdem lebten noch die
Großeltern. väterlicher Seits nämlich
Augustin St i f ter , mütterlicher SeitS
Franz Friepeß und die Großmutter
Ursula, geborene Kary auS Glocket»
berg. Ein Knecht S im o n , ein in der
Legende der Heiligen sehr bewanderter
Mann, ist auch zu nennen. Diese Per-
sonen umgaben den^Knaben in feinen
ersten Lebensjahren und übten, nicht
unwesentlichen Einfluß auf daS tief-
empfängliche Gemüth desselben. Wenn
die Mutter hauptsächlich durch ihr inniges
Gemüth und ihre Liebe auf den Kleinen
wirkte, so that es die Großmutter wie«
der durch ihre Sprüche und herrlichen
Geschichten, die sie mit Wundern auszu«
statten und so schön zu erzählen verstand,
daß sie dieselben immer wieder von
vorn anfangen mußte. Auch der Knecht
S imon mit seinen Legenden that ein
Uebriges, und so fehlte nichts, um die
kleine Welt deS übrigens sehr lebhaften
und wißbegierigen Knaben mit Allem
auszufüllen, was ein Kindesgemüth be»
glückt. Im Alter von sechs Jahren kam
er in die Ortsschule, welche unter der
Leitung des Lehrers Joseph I e n n e
stand. Ienne war ein ausgezeichneter
Mann in seinem Berufe, und S t i f te r
gedachte seiner in späteren Jahren immer
voll Liebe und Dankbarkeit. I n der
Schule studirte der kleine Ad alber t
fleißig. auch lernte er die Geige strei«
chen, die Clarinette blasen, und singen.
Der Musikunterricht in der.Schule war
so trefflich, daß, als der Knabe in der
zweiten Classe saß, der Schulmeister
Haydn'S „Schöpfung" mit seinen Zog»
lingen aufführen konnte, wobei auch
A d a l b e r t mit seiner gut geschulten
Stimme mitwirkte. Da derselbe gute
Fortschritte machte und überdies sehr be<
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Stifft-Streel, Volume 39
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Stifft-Streel
- Volume
- 39
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1879
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 400
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon