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und nahm einen ungeahnten Verlauf.
Hatten die Wiener ihren Streit mit den
vormarzlichen Gewalten allein auszu
tragen gehabt, wie ganz anders wären
die Dinge verlaufen; aber da kam als»
bald der Abhub aus aller Herren Lan,
dern, um im Trüben zu fischen, und die
Bewegung nahm eine Richtung, welche
jeden Freund des wakren Fortschritts
tief betrüben und mit Sorge in die Zu
kunft blicken lassen mußte. Wien wurde
der Schauplatz einer Wühlerei, die eben
nur in Wien, in diesem Conglomerat
aller Nationen, möglich ist. Schon im
Mai gestalteten sich die Dinge so be>
drohlich, daß sich St i f ter 's eine dü>
stere, Unheil ahnende Stimmung hemäch»
tigte und es ilm aus dem Babel der
freiheitlichenBacchanalien hinausdrängte.
So siedelte er denn im Mai 4848 nach
Linz über, um dort seinen bleibenden
Wohnfitz zu nehmen. Aber auch das Linz,
welches ihn noch im Vorjahre so wohl an-
gemuthet hatte, war nicht mehr daS alte.
Auch hier gingen die Wogen der Bewe-
gung höher, als S. vermuthet, und so
fand er sich auch da vereinsamt. I n
einem Briefe vom September 1348 be«
kennt St i f te r : „Ich habe in diesem
Sommer unendlich gelitten. Selbst der
Tod ist süßer als solch ein Leben, wo
Sitte, Heiligkeit, Kunst, Göttliches
nichts mehr ist und jeder Schlamm und
jede Thierheit, weil jetzt Freiheit ist,
ein Recht zu haben meint, hervorzu«
brechen." Zu dieser unerquicklichen Stirn.
mung gesellte sich die Unsicherheit seiner
eigenen Lage. denn er war seit jeher
auf den täglichen Broderwerb gestellt.
Wer dachte im BewegungSjahre 1848
an Lehrer und Lernen? Und mit der
Poesie war cS unter solchen Eindrücken
auck nichts. Wer fragte in einer Zeit,
wo die Barricadenhelden mit Pflaster« steinen allen geistigen Aufschwung nie«
verwarfen, nach Poeten und Poesie?
Doch ganz ließ der GeniuS sich auch
von diesen Schrecken der freiheitlichen
Orgien nicht niederdrücken, und in die»
sem verhängniß« und unheilvollen Jahre
entstanden seine »Bunten Steine", Ge>
schichten auS dem Kinderleben, welche ein
LustruM spater gesammelt im Druck er»
schienen. Als dann der Herbst 1849 heran«
kam, erhielt S t i f te r eine briefliche An«
frage, ob er nicht geneigt wäre, in das
Unterrichts. Ministerium einzutreten. Er
entgegnete: „er könne sich darüber erst
aussprechen, wenn er Art und Umfang
der Gesckäfte kenne, welche er überneh«
men solle". Dabei hatte einstweilen die
Sache ihr Bewenden, b^S im November
1849 Ministerialrath E rne r ^Band IV,
S. 113) im Auftrage des Unterrichts«
ministerS Leo Grafen T h u n ihm
die Stelle eineS Sanllraths und Inspec«
torS der Gymnasien für Wien und Unter«
österreich antrug. St i f ter erwiderte,
indem er für den Antrag dankte, daß
ihm die Inspection der Volksschulen in
Oberöfterreich lieber wäre. Und in der
That wurde ihm auch im Juni 183l)
dieser Posten verliehen. Auf diesem
fühlte er sich im rechten Fahrwasser.
Die Aussicht auf eine Thätigkeit, die
ihm lieb und werth, welcher er als
jahrelanger praktischer Pädagog voll-
kommen gewachsen war, kob ihn und
belebte ihn mit neuen Hoffnungen. ES
galt ein Feld bebauen. daS lange ver«
nachlässig! war. aber einen Boden hatte,
auf dem eS sich mit Erfolg säen und
wenn daS Unkraut ausgerottet war. auch
eine reiche und gute Ernte sich erwarten
ließ. So hatte St i f ter gedacht, mit
diesen Hoffnungen hatte er seine Stelle
angetreten, er meinte, AlleS würde so
gehen, wie er eS sich ausgeklügelt; er
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Stifft-Streel, Volume 39
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Stifft-Streel
- Volume
- 39
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1879
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 400
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon