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dah es außer ihm noch Narren gibt, die
ruhig dasselbe Schicksal ertragen. So lieben
sie es, sich zusammenzusetzen und. wenn auch
im stillen Herzen rasend, kommt doch über
ihre Lippen kein lautes Wort, das hie und
da einen Aufseher reizen könnte; unschuldige
Novellchen, tugendhafte Verse, unblutige
Scherze theilen sie sich mit; sie, die gern
nach allen Seiten der Windrose zerstieben
und vielleicht sich gegenseitig bekämpfen
möchten, wenn ihnen der Raum dazu gege>
den wäre, weilen friedlich bei einander und
die Göttin Concordia lächelt ironisch zu
dieser gezwungenen Eintracht. Fern von
diesem Kreise träumt Ad albert St i f ter
in seiner einsamen Zelle, auch er wird be»
wacht, aber er sieht es nicht,- auch er trägt
Ketten, aber seine Bewegungen waren nie
so wild, daß er sie hätte rasseln hören kön»
nen. Nie drängte es ihn, die melodische
Stimme seiner Poesie in das Gewirr der
Zeitkämpfe tönen zu lassen, darum ward
ihm auch nie der Schmerz, daß ihm wäre
Schweigen geboten worden. Die Kerker»
stäbe. an welchen die Einen rütteln, die An«
deren lecken, wie treue Hunde oder gefangene
Schafe, kam er nie in die Lage, kennen zu
lernen oder in die Versuchung, wegzuwün«
schen. Seine Muse ging stets einsam, hohe
Gebirgswege, auf denen man den Lärm der
Erde wie ein fernes Gewitter verrollen hört.
Sie lauschte den Gesprächen der Bäume,
den Gesängen der Vögel oder bestieg die
Nuine einer historischen Vergangenheit, in
welcher sie mit weihevoller Andacht wieder
ein künstlerisches Leben weckte. Vor Allem
aber schloß sie sich immer fest an die Natur
und ihre Offenbarungen, und Keiner hatte
wie er ein so klares Auge für das irdische
Grün und das himmlische Blau, diese beiden
Frieoensfahnen, dazu bestimmt, uns mit der
quallvollen Nähe der Erde und der tröst«
losen Ferne des Himmels zu versöhnen." —
Johannes Scherr über St i f ter : „-.-Ich
weiß von St i f ter 's Personalien nur, daß
«r irgendwo in Oesterreich geboren wurde.
Mir genügt, zu wissen, daß er ein Poet ist.
Der Dichtertitel ist dermalen in Deutsch«
land freilich fast noch wohlfeiler geworden,
als der Doctortitel. aber wenn auch billig
angenommen werden darf. doß es bei unü
daheim noch viele leidliche Doctoren gebe,
— die Dichter sind bald gezählt. Zwar die
verschiedenen Camaraderien creiren deren all«
jährlich so ziemlich ein volles Dutzend, allein die Claque und Nlague hat, scheint es, noch
kein Mittel entdeckt, ihre Diplome gegen die
Feuerprobe der Zeit zu sichern. S t i f te r
ist kein Product der Coterien, er wird die
Coterien überdauern. I n seinen Schriften ist
etwas vom echten Metall der Poesie, etwaS,
viel sogar von lauterem Golde. Der wech»
selnde Geschmack des Publicums mag dieses
Gold zuweilen — wie dies ja zeitweise selbst
dem gediegensten begegnet — mit einer
Staubschichte der Unempfänglichteit bedecken,
aber rosten wird es nie und nur eines leisen
Striches von erfahrener Hand wird es be«
dürfen, daß es auch Denen, die nach uns
kommen werden, in seinem reinen Glänze
und Schmelz entgegenleuchte. S t i f te r
braucht nicht erst ausdrücklich zu versichern,
daß er zunächst ganz absichtslos und nur zu
seiner eigenen Freude geschrieben. Jeder
Fühlende erfährt, daß Sti f ter 'S Schriften
durchweg Werke der Stimmung sind. Sein
Schreiben ist augenscheinlich kein von der
Außenwelt angeregtes, sondern ein innerlichst
quellendes. Man kann am Ende, wenn man
nämlich ein Goethe ist, sagen, daß der
Poet die Poesie zu commandiren im Stande
sein müsse; aber selbst bei Goethe, wenig»
stens in manchen seiner sväkren Producte.
erscheint mitunter die Poesie sehr als eine
commandirte. Man kann artesische Vrunnen
bohren und es ist gut, dah man es kann.
Sie liefern häufig ganz vortreffliches Trink,
waffer, aber wir ziehen doch den Fclsenquell
vor, der frei im Hochwald sprudelt. St i f«
ter's Dichten ist solk ein Naburbrunnen, hoch
droben klar aus zackigem Gesteine brechend,
silbernen Schalles von Stufe zu Stufe sal»
lend, dann launischer Windung durch Wald«
schatten rieselnd und endlich weiter unten,
im geweiteten Wiesenthale als spiegelheller
Bach über bunte Kiesel hingleitend
Aber genug der Bilder. Was meineS Wissens
allgemein feststeht, ist. dab unserem Dichter
in der LandschaftSmalrrei vermittelst des
Wortes der Preis aebührt. In der That,
seine Landschaften find diS ins Einzelnste
vollendete Gemälde. mit der saubersten
Miniaturmalerei ausgeführt und doch nicht
im Detail sich verlierend, denn überall ge>
winnen wir einen bedeutenden Gesammtein»
druck. Woher daß? Woher die tiefpoetische
Wirkung, welche, um nur zwei Nächstliegende
Beispiele anzuführen, die Malerei der Wald»
Herrlichkeit im „Hochwald" oder die pracht«
volle Schilderung deH CiStageS in den Cr-
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Stifft-Streel, Volume 39
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Stifft-Streel
- Volume
- 39
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1879
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 400
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon