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Stifter Stifter
zählungen „AuS der Mappe meines Urgroß,
vaters" hervorbringen? Sicher vermag ein
bloßes Abschreiben der Natur nicht so zu
Wirten. St i f ter schreibt die Natur ab, ja
wohl, aber er schreibt sie so ab, wie sie sich
in dem Auge des Dichters spiegelt. —
Das ist's!" — Levin Schücking schreibt:
, Wenn man die duftig zarten Aqua«
rellfarben, diese weichen Pinselftriche findet,
woraus Bilder voll unendlicher Ruhe und
innerer Harmonie entstanden sind, so glaubt
man eher, sie müßten von einem Poeten
einer neuen I^ks-sokool als von einer
Literaturgröße der beoöllertsten deutschen
Stadt herrühren. Denn wahrlich, eine Natur,
die tiefer den stillen Zauber der Waldein,
samkeit oder eines abendlichen Horizontes,
der mit seiner milden Farbengluty über
schlummernden Gesilden und blauen Hügeln
steht, empfunden hätte — eine Natur, welche
treuer und inniger den Gottesgedanken, der
auch im unscheinbarsten Haideblümchen lebt,
zu erfassen und zu verehren wüßte — eine
solche Natur haben die der Dichtung heiligen
Cumberland'Seen nicht an ihren Ufern er»
blickt. Es ist in diesen Stifter'schen Schrif.
,ten ein tiefer Grundzug der Treue, welcher
sie rein erhält von allen äußeren Einflüssen,
die ihm fremdartige Elemente aufdringen
könnten; und am allerwenigsten ist diese
echte und unoerkümmerte Dichternatur ge»
neigt, nur im allermindesten den Foroerun«
gen eines zerstreuten, großstädtischen Publi»
cums nachzugeben, das rascher und unge<
duldiger zu Ende kommen will mit dem,
was der Schriftsteller ihm vorzutragen hat,
als dieser selbst es nach seiner ihm anssebo»
renen Art und Weise zu gestatten für gut
findet..^. Die Schönheit und die seltenen
Vorzüge dieser Sammlung der ,Studien"
haben wir schon seinerzeit hervorgehoben.
Von anderen Seiten begegneten sie jedoch
vielfach dem Vorwurfe, daß sich der Dichter
mitunter in der Beschreibung oeS Einzelnen,
im Ausmalen des Kleinen wie in einem
schwer zu durchschreitenden Dickicht verirre,
und dies die künstlerische Composition bes
Ganzen beeinträchtigt; daß das, was nlan
die Fabel nennt, von ihm in ungebührlicher
Weife vernachlässigt werde. Cs ist dagegen
einzuwenden, daß diese Vorliebe für das
. Einzelne und das Kleine nie zum ideenlosen
Beschreiben nur um des Beschreibens willen
werde, daß St i f ter immer nur die außer«
gewöhnliche Wichtigkeit auf die Scene und den Hintergrund seiner Gemälde lege, weil
er sie als symbolischen Ausdruck des in
ihnen sich bewegenden Menschengeistes und
der Empfindungen und Stimmungen deS»
selben gebe; ferner daß in dieser tiefen Na<
tursymbolit seine poetische Kraft liege, daß
er gerade dadurch die wunderbare Harmonie
zu erreichen wisse, welche über seine Arbeiten
ausgebreitet liegt. Dennoch ist es nicht weniger
wahr, daß die Art uno Weise unkünstlerisch
ist. in welcher St i f ter als Dichter seine
Feder zuweilen gerade so braucht, wie der
Maler den Pinsel, daß er oft das Leblose,
dem er Leben einzuhauchen strebt, bevorzugt
vor dem, welchem Gott schon das Leben
eingehaucht hat. und daß er sich mitunter
in einem träumerischen Vergessen der Regeln
der Composition gehen läßt." — Friedrich
Voigts schreibt in den „Blättern für litera»
rische Unterhaltung" über St i f te r : „Fra«
gen wir nach demjenigen, was St i f te r mit
seiner Kunst und Kunstfertigkeit denn eigent-
lich vor uns hinstellt, so befänden wir uns
in einiger Verlegenheit, wenn wir die vor
uns aufgerollten Bilder als Erzählung, No>
vclle oder Roman bezeichnen sollten. Wir
erinnern uns aber, daß er selbst das hier
Gegebene unter dem allgemeinen Titel „Stu<
dien" zusammengefaßt, und finden darin einen
Anhaltspunct zu näherer Verständigung.
Studien sind ungefähr gleichbedeutend mit
Aphorismen, Bruchstücken. Notizen, zu weite-
rer Ausführung hie und da schon zusammen«
gereiht oder die Uedergänge, die Vertnüpfun»
gen, die Gegensätze kurz und leicht andeutend.
So etwa ist es auch hier. Es erscheinen
eine und mehrere Personen, sogar ein ganzer
Saal voll. wirbelnden Tanzes; wir wissen
nicht, was sie zusammengeführt, was sie
trennt, mit einem Worte, was sie wollen.
Es ist unS aber — und den Grund dafür
haben wir oben schon darzulegen versucht —
es ist unS unmöglich, an ihnen vorüberzu»
gehen, und da finden wir denn endlich ein
Ereigniß, ein Wort, einen Hauch als Lösung
deS ganzen lieblichen Räthsels, so daß wir
erst eigentlich da die Geschichte selbst machen
müssen, wo sie bei Anderen zu Ende zu gehen
pflegt. Diese Eigenthümlichkeit, unterstützt
und gehoben durch eine iugendfrische, jugend«
reine Sprache, klare, blühende Diction, gibt
nun aber den Darstellungen jenen märchen<
haften Charakter, der uns scheinbar aus der
ganzen gewohnten Wirtlichkeit hinweghebt,
so daß wir in einer feenhaften Welt selbst
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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Stifft-Streel, Volume 39
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Stifft-Streel
- Volume
- 39
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1879
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 400
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon