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Stifter 37 Stifter
dienen kann, ist durch das eigenste Wesen
und den Adel seiner Innerlichkeit selbst noth»
wendig bedingt. Was aber seine Schilde»
rungen uorzugüweise charakterisirt und über
alle ähnlichen Leistungen in Vergangenheit
und Gegenwart unzweifelhaft emporhebt, ist
die schlagende Wahrheit und glückliche Wahl
der einzelnen Ausdrücke, welche bei der voll«
kommenen Herrschaft über die Sprache, die
in jeder Zeile sich wohlthuend zu erkennen
gibt, durchaus nicht etwa beabsichtigt oder
mühsam erhascht erscheinen. Es zeigt sich
in ihnen die unvergleichliche Schärfe seines
Dichterblickes und Ohres, womit er an
Allem, was er auf seinen Wanderungen
durch die Natur als schön und poetisch er>
schaute oder mit dem Gehör wahrnahm,
auch sofort das innerste Wesen der eigen
thümlichen Schönheit, das. wodurch sie sich
alS Art von anderen Schönheiten der Gab
tung wesentlich lostrennt, erspäht oder die
eigenthümliche poetische Bedeutung in Allem
glücklich herausfindet und so auch in das
an sich Leblose ein nie geahntes inneres
Leben hineinträgt. Was aber der Blick oder
das Ohr in seiner eigensten Bedeutung auf»
gefaßt hat, dafür findet auch wohl die
Sprache leichter die Ausdrücke, die jene
Bedeutung vollkommen decken. Wie St i f -
ter alle Reiche der Natur, die Elemente,
Phänomene, ebenso wie alle großartigen und
winzig kleinen Werle und Werlchen, von
Menschenhänden gefügt und gebildet, in den
Kreis seiner dichterischen Anschauung hinein»
zieht, weiß er auch Allem und Jedem eine
treffende Bezeichnung, eine originelle Cha»
ratteristit zu geben. So wird ihm der Wi»
derschein der Abendsonne in den Fenstern
eines Hauses zum „flüssigen Golde"; der
krüppelhafte Wachholderstrauch dünkt ihn
„ein Widerspanstiger Geselle, unüberwindlich
zähe in seinen Gliedern, wenn er einen
wohlriechenden Hirtenstab sollte fahren las<
sen"; er schaut nicht nur den schwerfalligen
Flug der Hummel, er hört „wie sie so
schläfrig vordeiläutet"; er sieht in den
Tropfen des Frühregens „die Perlen der
Fruchtbarkeit" vom Himmel herabfallen, läßt
über dem schlafenden Knaben Fel i r „den
bunten Teppich der Träume sich weben"
und den Tag „seinen glänzenden Himmels»
bogen über die Halde spannen", oder als
die Aehren in der Zeit großer Dürre fahl«
grün und wesenlos standen, da dünkt es
ihn. als „erzählten sie bei jedem Hauche der Luft mit leichtfertigem Rauschen ihre
innere Leere." Durch die Hütte des Haide»
bauers „zieht die Arbeit und Freude deS
Landmannes durch Jahrtausende einförmig
und unerschöpft, geräuschlos ein Stück ihrer
uralten Kette, an deren Glieder jedem ein
Tröpflein Vergessenheit hängt", und vor der
Hütte sitzt die steinalte, blödsinnige Groß»
mutter, „ewig und unbegreiflich hinauslebend
wie ein vom Tode vergessener Mensch, ein»
sam und allein in der Gesellschaft ihrer
Todten, und zurückspinnend an ibrer inneren
ewig langen Geschichte, und nur einzelne
Blitze verrathen dem Menschenkenner, daß
hier eine ungewöhnliche Dichtungsfülle vor«
übergelebt war. oorübergelebt in dem schlech«
ten Gefäße eines Haidebauerweibes". Uno
da im „Hochwald" der alte Jäger der zar-
ten Johanna die Hand reicht, nennt er eS
„eine baroke Vermalung, als sich ihre weiche
kleine Hand wie eine Taube in die Felsen
seiner Finger duckte". Genug der Beispiele,
Jede Seite seiner Schriften bestätigt oaS
Gesagte. — Dabei ist S t i f te r unübertreff.
lich in feinen Schilderungen der Schönhei-
ten in dem wunderreichen Leben der Na«
tur. ... Er hat nicht allein seinen Pinsel
in die frischesten Farbentöne der Wahrheit
getaucht, sondern weiß auch das innere tau»
sendjähnge Leben, welches in nie ermüden»
der Abwechslung durch die ganze Natur
stürmt, flüstert, plätschert, zirpt und flötet,
wie durch Zauber zu wecken und wiederzu»
geben, und ungezwungen sieht sich der Leser
plötzlich hineinversetzt in den hehren Säu«
lentempel des Hochwaldes, in die lebens-
warme Ioylle der grünen Fichrau, in die
Wunderwelt an den Ufern des Traunsees.
an den Fuß der Alpen, er fühlt sich so von
dem Zauber dieses reichen Naturlebens wie
von den weichen kosenden Armen einer trau»
ten Freundin allmälig selbst umfangen und
lebt sich in den poetischen Duft hinein, den der
Dichter über das Leben ausgegossen, das er
gleichsam zum zweiten Male geschaffen hat."
(Quellen zur literarischen Charakteristik und
zur Kritik seiner Werke, a) Allgemeine Cha-
rakteristik. Debatte (Wiener Parteiblatt)
l868, Nr. 52, im Feuilleton: „Adalbert
Stifter". sEine kurze, aber geistolle und zu«
treffende Charakteristik des DichterS in seinem
von der Welt zurückgezogenen Leben, Weben
und Streben.) — Die Presse, t868.
Nr. 29. im Feuilleton: „Adaloert Stifter".
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Stifft-Streel, Volume 39
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Stifft-Streel
- Volume
- 39
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1879
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 400
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon