Page - 44 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Susil-Szeder, Volume 41
Image of the Page - 44 -
Text of the Page - 44 -
Swieten, Gerhard ) Gerhard
Schulen durch sie eine falsche Richtung
erhalten, die Lüge war ihm im Grunde
seiner Seele verhaßt, und nun betrachte
man die hervorragenden Leistungen der
Wiener Schule (1839), ob sie nicht fast
durchweg frei von Schein und Tauschung
sind, ob in ihnen nicht das Gepräge der
Wahrheit und Neberzeugung unver«
kennbar ist! Die Wahrheit war in van
Swieten mit strengem Pflichtgefühl,
selbst wohl Unbeugsamkeit (und daher
die Schilderungen seines herrischen leiden«
schaftlichen Wesens), Einfachheit der
Sitten und Mäßigkeit verbunden und er
forderte diese Eigenschaften von anderen
Aerzten. Der Einfluß, den er dadurch
auf den Staatsdienst und die ärztlichen
Studien ausübte, kann nicht hoch genug
angeschlagen werden. Die Muße eineS
Arztes, der ein Gelehrter sein soll, ge.
hört den Wissenschaften, nicht dem Spiel,
dem Gepränge und sardanapalischen
LuruS, der die Liebe zu geistiger Beschäf«
tigung vernichtet und in nichtigen
Zerstreuungen der Gesellschaft fiacheS
Treiben nur allzu leicht begünstigt. So
lange van Swieten's Einfluß währte,
waren der Mittelmäßigkeit die Wege
versperrt und dem Verdienste die Lauf»
bahn der Auszeichnung eröffnet. Das
Verdienst war sicker, in ihm einen Für-
sprecher und so weit sein Amt reichte,
einen theilnehmenden Beförderer zu
finden' eS erregte nie seinen Neid, sein
Mißtrauen oder seinen Verdacht, denn
es war seiner eigenen Natur ver»
wandt; er suchte es nicht unter dem
großen Haufen schlauer Bewerber, den
er von sich fern zu halten wußte. eS
konnte erwarten, von ihm bemerkt zu
werden, denn er ehrte die Bescheidenheit.
Selten verstand es ein Staatsmann
besser, sich durch talentvolle Männer zu
vervielfältigen, und deshalb ist niemals die Heilkunde aus dem Taumel der
Trägheit so schnell zu regem Leben er»
wacht, als unter ihm in Oesterreich. Hun«
derte von gebildeten und ihrer Wissen«
schaft mit Eifer ergebenen Aerzten gingen
auS seiner Schule hervor und verbrei-
teten sich in alle Lande des Kaiserstaates,
und selbst viele von denen, die sein
Wirken nicht in der Nähe gesehen und
von seinen Lehren nicht unterrichtet
worden waren, schätzten eS sich zur Ehre,
zum Gedeihen der Heilkunde als Schrift-
steller mitzuwirken." Was er als Mensch
war, suchen wir vergeblich in deutschen
Quellen; sein Lobredner in der französi-
schen Akademie der Wissenschaften muß
uns Aufschluß über seine Wohlthätigkeit
geben, und von ihm erfahren wir, daß
van Swieten in den letzten zehn
Jahren über 30.000 Livres zur Armen«
caffe gegeben. Arme Kranke unterstützte
er reichlich und sorgte väterlich für
mittellose Studirende. Man spricht und
schreibt von Eigenheiten, von Sonderbar«
keiten, welche der große Mann gehabt.
Welcher große Mann, ja überhaupt
welcher Mann hat deren nicht? So er«
zählt man. daß er bei seiner Ernennung
zum Leibarzt sich ernstlich bedungen
habe, seine holländische — sehr einfache
— Kleidertracht beibehalten zu dürfen.
Demzufolge erschien er auch ohne Per«
rücke, ohne Degen, ohne Manschetten.
Als er später doch letztere trug, konnte
er nicht anders, da sie ein Geschenk der
Kaiserin waren, welche sie mit eigener
Hand verfertigt hatte. Daß er aber auch
in seiner Tracht der Zeit voraus war,
erkennen wir eben aus seinem Protest
gegen die Perrücken, die denn doch eine
lächerliche abgeschmackte Mode waren.
Und wenn ein solcher Protest eine Son«
derbarkeit ist, nun wohlan, wir ehren
solche Sonderbarkeit. Und diesen Cha<
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Susil-Szeder, Volume 41
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Susil-Szeder
- Volume
- 41
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1880
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 340
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon