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Türr 91 Türr
Türr, Stephan (österreichischer De-
serteur, geb. zu Baja am 10. August
1823). Obgleich überall als Vollblut-
ungar angegeben, ist er doch von
deutscher Abstammung, und sein Bruder
Albert , seines Zeichens ein ehrsamer
Schuster, diente noch 1861 bei Coronini»
Infanterie Nr. 6 als braver und zuver-
lässiger Soldat. Als Studirender trat
Stephan am 8. März 1842 zu Zombor
in die kaiserliche Armee und wurde im
Jahre 1848 vom Feldwebel zum Unter-
lieutenant im 32. Linien-Infanterie-Regi-
mente, damals Erzherzog Franz Karl, be-
fördert. Das dritte Bataillon dieses in
Italien liegenden ungarischen Regiments,
welches seinen Werbbezirk in Fünfkirchen
hatte, stationirte in Ungarn, wo es durch
die Revolution größtentheils in seiner
Pflichterfüllung wankend geworden war.
Als Türr mit seinem Gesuche um Ueber»
setzung dahin abgewiesen wurde, faßte er
im Stillen den Entschluß, seine Fahne,
sobald sich ihm Gelegenheit darböte, zu
verlassen. Am 17. Jänner 1849 stand
er zu Buffaloro auf Vorposten, und dort
kam ihm jener von Ladislaus Grafen
Teleki j M . XI^III, S. 233^ unter-
zeichnete und von dem in Turin wei>
lenden Nevolutionsagenten Ungarns
Ludwig S p l ö n y i sBand XXXVI,
S. 207^> verbreitete Aufruf in die Hände,
in welchem die ungarischen Regimenter in
der Armee Radetzky's zu Eid» und
Treubruch aufgefordert wurden. Und
Tags darauf, nach der Ablösung von
den Vorposten, entwich er meineidig von
seiner Truppe. Daß er diesem Schritte
lediglich rolltische Motive unterschob, ist
selbstverständlich; doch lagen die Dinge
anders. Einer pflichtwidrigen Gebarung
mit Compagniegeldern dringend ver-
dächtig und sowohl dieserhalb als wegen
leichtsinnigen und unbefugten Schulden- machens jeden Augenblick einer Unter-
suchung gewärtig, entzog er sich derselben
durch die Desertion. Interessant ist es,
wie nun der Deserteur im Hauptquartier
zu Vigevano unter den Auspicien eines
königlichen Prinzen von Savoyen förm-
lich eine festliche Aufnahme fand! Wenn-
gleich er unter die damals allgemein
gangbare Maske eines wegen politischer
Ueberzeugung verfolgten Märtyrers sich
hüllte, so kann man doch nicht anders,
als annehmen, daß die Begriffe von Recht
und militärischer Ehre in der einst so
wackeren piemontesischen Armee, selbst bei
ihren obersten Führern abhanden ge-
kommen, wenn man einen Mann, der,
möge man die Dinge wenden, wie man
wolle, immer nur Deserteur war und
blieb, in solcher Weise aufnahm. In
Turin wurde Türr von Splönyi zum
Capitan und Commandanten der auf sar-
dinischem Boden versammelten österreichi-
schen Deserteure ernannt. Diese Leute,
etwa eine Bande von 13l) Mann, orga-
nisirte er zu Alefsandria in eine Legion
und begab sich mit ihr nach Nizza, weil
es im Plane lag, von dort nach Fiume
und dann nach Ungarn zu ziehen. Allein
der vernichtende Sieg Radetzky's machte
diesem Vorhaben ein Ende, und Türr
ging nun mit einem Theile seiner Legion
nach Baden, wo er von Siegel, der
die Aufständischen commandirte, erst zum
Major, dann zum Obersten ernannt
wurde. Ueber die Motive, welche den
Vollblutmagyaren nach Baden trieben,
wo doch für die Ungarn zur Erkampfung
ihrer Selbständigkeit nichts geschehen
konnte, herrscht noch zur Zeit unauf-
geklärtes Dunkel. Nachdem der Aufstand
in Baden niedergeschlagen war. ging der
Deserteur nach Bern, um sich mit dem
daselbst weilenden ungarischen Agenten
Draskovich in Verbindung zu setzen.
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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Trzetrzewinsky-Ullepitsch, Volume 48
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Trzetrzewinsky-Ullepitsch
- Volume
- 48
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1883
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 346
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon