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Tunner, Marie 126 Tunner.
durch Meisterwerke ausgedrückte Hoch«
aä'tung erfahren, und zwar reichen diese
Zeiten bis in die Kinderjahre des Instru-
mentes hinauf. Bach, der tiefsinnige
Meister der Orgel, hat dem Claviere
nichts Geringeres als die Temperatur
gegeben. Diese, dem Instrumente erst
eigentliche Lebensfähigkeit verleihende
Wohlthat beschloß er mit der Composition
seiner unsterblichen 48 Präludien und
Fugen. Haydn, der große Oratorien-
dichter und Vater des Streichquartetts,
war es, welcher der Claviersonate die
Fassung gab. Er schrieb viele Sonaten,
worunter reizende Stücke. Mozart , der
geniale Mehrer der Oper, schrieb viele
Claviersonaten, deren bedeutendere Num>
mern Werke voll süßer Anmuth von un-
vergänglicher Schönheit sind. Beetho-
ven, der große König der Symphonie,
schuf 32 Claviersonaten, von denen fast
alle höchst schwungvoll, die größeren aber
unter des Meisters vorzüglichste Werke
überhaupt zu rechnen sind. Schubert,
der ideale und unerschöpfliche Lieder»
componist, schrieb für Clavier mehrere
Sonaten, dann zahlreiche kleinere Stücke,
alle voll der schönsten Empfindung.
Sckumann, der für Chor und Orchester
so thätige phantasievolle Tondichter, gab
dem Claviere zahllose Werke von den
verschiedensten Größen, Charakteren und
Fassungen, doch alle voll sinniger Ge-
danken und romantischen Schwunges.
Nebst diesen Tonschöpfern sind es der
funkensprühende Scar la t t i , der kräf-
tigc C'lementi, der geschmackvolle
Hummel, der strahlende Weber, der
elfenhafte Mendelssohn, der träume-
rische Field, der schwärmerische Cho-
pin, der plastische Brahms, der thau>
frische Gade, derphantastische Kirchne r,
der elegische Henselt und viele Andere,
welche, durch die Kraft ihres schaffenden Talentes zur Herrschaft über alle Instru-
mente und Singstimmen berufen, wohl
nicht von Ideenarmut, sondern von
reiner Neigung bewogen wurden, dem
Claviere eine so reiche Menge der schönsten
Gedanken anzuvertrauen, ja noch über-
dies, wie Einige aus ihnen thaten, die
Kunst des Claviervortrages zur Lebens-
aufgabe zu erwählen". Möge diese charak-
terisirende Stelle genügen, wir müßten
ganze Seiten ausschreiben, wollten wir
! die ungemein geistvollen, originellen und
zutreffenden Gedanken anführen, welche
dieses doppelt merkwürdige Buch enthält,
einmal dadurch, daß es einen Gegenstand
! behandelt, der so reichen Inhalt kaum
ahnen läßt, dann wieder dadurch, Haß
ihn ein Weib, und zwar mit einer Klar-
! heit und Durchsichtigkeit behandelt, die
uns geradezu in Erstaunen setzen. Be°
^ merkenswerth bei solchem Reichthum der
i Ideen ist nur der eine Mangel, daß der
! Fürst des Clavierspiels, in der Gegenwart
j der Reformator in der Behandlung dieses
! Instruments, Franz Liszt. in dem ganzen
Buche auch nicht einmal genannt wird.
Sollte das Absicht sein? Schon lange vor
dem Erscheinen dieses Werkes trug M arie
Tunner den Todeskeim in einem im
Verborgenen wühlenden tückischen Herz-
übel in sich, welches sich während ihres
Lebens nur in einer ungewöhnlichen
Erregbarkeit kund gab. So war sie denn
auch heiter erregt in jener Stunde, als
bei fröhlichem Tischgespräch die Hand des
Todesengels sie plötzlich berührte. — Wie
Marie erhielt auch die jüngere Schwester
Sylvia eine sehr sorgfältige Erziehung,
die sich gleichfalls auf die Erlernung
der lateinischen Sprache erstreckte, in
welcher auch sie die römischen Classiker
liest. Neben der Liebe zur Musik, welche
Sylv ia mit ihrer Schwester theilte,
zeigte sie ein ausgesprochenes Talent für
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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Trzetrzewinsky-Ullepitsch, Volume 48
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Trzetrzewinsky-Ullepitsch
- Volume
- 48
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1883
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 346
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon