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Vörösmarty 148 Vörösmarty
(übersetzt) von G. M. Henning (Pesth.
Wien und Leipzig 1874, Hartleben. 12".), —
Ungarische Lyriker der letzten fünfzig
Jahre. Metrisch übertragen und mit biogra«
phischen Einleitungen. Von Gustav Stein»
acker (Leipzig 1857. Barth. 8«.). — Unga«
rische Volkslieder. Deutsch von A. G r e.
guss (Leipzig 1846. Wigand. 12«.). — Un>
garische Nat ional l ieder. Uebersetzt von
Vasf i und Benko (Cisler und Kertbeny)
(Vraunschweig 1852, Jäger, 16".). — Unga>
rische Dichtungen. Deutsch von A. Dur
(Presburg und Leipzig 1834, A Knapp und
W. Baensch, kl. 16".). — Ungarische G e-
dichte. Uebersetzt von Julius Nord heim
(Pesth 1872. Samuel Zilahy, kl. 8«.).
Zur ästhetischen Charakteristik Vörösmartn's.
Die ungarische Kritik hat sich beim Auftreten
V örösmarty's duich den nationalen Ton,
den er in seinen Werken anschlug, so ver-
blüffen lassen, daß sie in seinem einstimmigen
Lobe Chorus machte und die nicht wegzu-
leugnenden Mängel in allen Zweigen seiner
Dichtung gar nicht gewahr wurde oder doch
nicht gewahr werden wollte. Aber eben, wenn
man erwägt, was die ungarische Dichtung
vor ihm war. und wie sie nach ihm und
vornehmlich durch ihn sich gehoben hat, da
erkennt man auch, daß es nicht angeht, an
solche Werke den rein ästhetischen Maßstab
anzulegen. Ein solcher Poet erscheint immer
wie eine kolossale Statue, welche man nur
in einer gewissen Entfernung auf sich wirken
lassen muß. um einen richtigen Gesammtein-
druck zu empfangen. Wir lassen nun einige
Urtheile ungarischer Kritiker über unseren
Dichter folgen. P. Gyula i über Vörös«
marin. Gyula i . dessen Biograph und wohl
der feinfühligste Kritiker Ungarns in der Jetzt-
zeit, schreibt über ihn: „V örösmarty's
Schaffen erstreckt sich auf die drei Haupt»
gatiungen der Poesie: Epos, Drama und
Lyrik. Aber vor dem Epiker in ihm ver«
schwinoec der Dramatiker, und über den Epiker
gewinnt oft der Lyriker die Oberhand. Auch
seine in einer Gattung geschriebenen Werke
sind nicht durchgehends von gleichem Werthe.
Bci einer eingehenden Analyse kann man in
denselben beträchtliche Mangel erkennen, ob-
gleich man zugel-en muß, daß die Mängel
oft von Schönheiten verhüllt sind. Seine
Gesammtwirkung, welcher kaum mehr ein
anderer Dichter nahe kommt bildet eine
seiner bedeutendsten Glanzseiten. Er befreite die ungarische Poesie theils vom Joche der
classischen, theils der deutschen Dichtkunst, und-
während er dem nationalen Geiste einen
kräftigeren poetischen Ausdruck verlieh, sanc-
tionirte er zugleich die Freiheit der Phantasie.
Er flößte unserer Poesie nationalen Geist und
Selbstgefühl ein; sie wurde unter seinem Ein»
flusse nationaler und. indem sie kühner werden,
lernte, wurde sie originaler und reicher...
Vörösmar iy übte auf den literarischen
Umschwung einen entscheidenden Einfluß aus;
dieser Umschwung beginnt eigentlich mit ihm;
Karl Kisfaludy hatte ihn zwar^schon ver-
kündigt, aber Vörösmar ty erhob ihn zu
einer umfassenderen Bewegung. Der Sieg
seiner Poesie war der Sieg des National-
geistes und der dichterischen Freiheit. Das ist
das glorreichste Denkmal seines Genies,
welches, so lange den Ungar der National»
geist beseelt, weder durch eine Veränderung,
des Geschmalls. noch durch Meisterwerke der
Zukunft verdunkelt werden kann. — Für das-
Drama und die Bühne hatte er schon von
seiner ersten Jugend große Vorliebe. Von
1821 bis 1844 hörie er nicht auf, Dramen
zu schreiben, ja, als er keine Epen mehr
dichtete, bestanden seme größeren Werke nur
in Dramen. Auch als Kunstübetseher trat er
nur auf dem dramatischen Felde auf. Selbst
der verhaltnißmäßig geringe Erfolg seiner
Stücke vermochte seine Leidenschaft nicht ab»
zukühlen. Seine Schattenseiten treten in seinen
Dramen stärker hervor als in seinen anderen
Dichtungen. Die Fehler der Composition
lassen sich überall besser verbergen als im
Drama, und die Komposition war selbst im
Epos nicht Vörösmarty's stärkste Seite.
Seine glänzende Dicnon, sein lyrisches Pathos-
stand beinahe im Gegensatze zur dramatischen
Sprache, die eine gewisse Ungleichheit, Abge»
brochenheit erheischt. Er verstand es, zu indi»
vidualisiren, aber nicht mit den großen und-
starken Zügen des Dramas, und war ebenso-
wenig im Stande, die Manifestation des-
Charakters, die Leidenschaft zu concentriren,
wie die Fäden der Handlung. Die lyrische
Stimmung, die schwungvoll beschreibende
Manier riß ihn fort, und manchmal spricht
er selbst anstatt seiner Personen. Treffend sagt.
er in einem gegen sich selbst gerichteten Epi«
gramm von seinen Helden, daß sie vor vielem
Neden nicht Zeit zum Handeln haben. Trotz«
dem waren seine Formen auf die ungarische
dramatische Literatur nicht ohne wohlthätigen
Einfluß. Karl K is fa ludy hat die rohe
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Villata-Vrbna, Volume 51
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Villata-Vrbna
- Volume
- 51
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1885
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 350
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon