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Vörösmarty Vörösmarty
m arty. Tiegmund Baron Kem «ny in seiner
Gedächtnisrede, welche er auf Vö r ös m arty
in der Jahresversammlung der Kisfaludy«
Gesellschaft am 6. Februar 1864 gehalten,
stimmt in seinem Urtheile über denselben im
Wesentlichen mit Gyu la i und Szekely
überein, nur in ein paar Punkten spricht er
sich energischer aus, und zwar im Punkte der
Lyrik und — zugleich auch sachlicher —
in jenem der Sprache Vörösm arty's.
Nach einer fesselnden Einleitung, in welcher
er mit kurzen, aber scharfen Zügen das
Werden der ungarischen Dichtung zeichnet,
Kazinczy den Vorläufer Sz«ch6nyi's
nennt und über Johann Kis, Vir: i .g,
Berzs«nyi, K is fa ludy . Kölcsey und
Karo na auf Vörösmar ty kommt, schil»
dert er nun die Triumphe, die Letzterer in
der Lyrik feiert, welcher sich derselbe seit 1831
mit all seiner poetischen Kraft zuwandte.
„Vörösmart y". schreibt Kem «ny, „zählte
schon damals, als er sich hauptsächlich mit
der epischen Dichtung beschäftigte, zu Ungarns
Lyrikern ersten Nanges, aber seine entschei-
dendsten Triumphe feierte er doch erst nach
seiner epischen Periode. Kein ungarischer
Lyriker hat sich in einem so weiten Kreise
bewegt, wie er. Vom Lied bis zur Dithy-
rambe und Ode, vom Genrebild und der
Malerei von Situationen und Stimmungen,
von der Fabel, Parabel, Allegorie bis zur
phantastischen Schilderung, von der Nomanze
und poetischen Erzählung bis zur Ballade
und der dem epischen Genre sich nähernden
Novelle in Versen, von didaktischen Be<
trachtungen bis zum Epigramm, auf das
ganze Gebiet der Lyrik erstreckte sich seine
gewaltige Inspiration. Gedenken wir des
Königs aller Trinklieder, jener kühnen und
phantastischen Dithyrambe, welche den ganzen
Gefühls- und Gedankenkreis des zechenden
ungarischen Tnblabiro umfaßt, des „^"ti
aal" — seiner Volkslieder, in welchen sich
das kindliche Gemüth des Volkes mit un>
verfälschter Treue ausspricht, seiner vor»
trefflichen Balladen, seiner anmuthigen poeti«
schcn Erzählungen, seines unverwüstlich'hu«
moristischen Genrebildes ,,1'or äsilk ciala",
d. i. Das Lied des slovakischen Studenten,
das mit den Meisterwerken der niederländi<
schen Genremalerei wetteifert, und schießlich
seines einfach erhabenen Gedichtes „Z-e^ny
25820N? kön^vb", d. i. Das Buch der armen
Frau, in welchem uns das Bild der Mutter
unseres unsterblichen Dichters vor Augen tritt. Es bleibt nur noch übrig, die Stelle zu
bezeichnen, wrlche Vörösmarty in der
schönen Literatur einnahm, und ein Bild
seines literarischen Charakters zu geben. Vö-
rösmarty hat mit seinem Auftreten den
Sprachenkampf sofort zu Gunsten der Neo«
logen entschieden. Diesen Triumph förderte
er mit seiner Dichtergröße in großartigem
Maßstabe; indeß muß man gestehen, daß die
Sprache, mit welcher er das Publicum
eroberte und die Gegenwirkung der alten
Schule entwaffnete, streng genommen nicht
die Wörter drechselnde, glatte, steife, fremde
Ausdrücke übersetzende, deutsche Wortfügungen
verpflanzende und Fabriksarbeit verrathende
Sprache war, welche den mit dem Alten
brechenden und das Volksthümliche verwer»
senden Meistern eigen ist. Vörösmarty's
Sprache ist volltönend, kühn, farbenreich,
kräftig und wo es nöthig war, schmiegsam,
weich und wohlklingend. Er liebte es. neue
Ausdrücke zu gebrauchen, aber immer nur
solche, die dem Genius der ungarischen
Sprache angemessen waren, und hütete sich,
fremde Wort» und Satzbildungen einzubür»
gern. Er durchforschte die alten Sprachschätze,
um seine Poesie ;u bereichern. Er nahm die
volkstümlichen Ausdrücke und zuweilen auch
Dialektwörter in Anspruch, um treffend, mit
Unmittelbarkeit kindlich, und wo es am Ort
ist. derb sprechen zu können, und wenn auch
die malerischen Epitheta und charakteristischen
Wortfügungen seine Diction zuweilen über»
laden und schwülstig machten, so verliehen sie
derselben doch zuweilen wieder außerordent«
lichen Reiz und glänzenden Farbenreichthum.
Vörösmarty brachte es in der Eigenheit
Berzsttnyi'ö. der bekannten W.'rtern oft
eine neue oder tropische Bedeutung gab, zu
einer noch größeren Vollkommenheit und ver-
fiel nie in den Fehler, daß er deshalb, wie
es bei Berzs<^nyi oft der Fall war, nicht
verstanden wurde. Kurz. Vörösmarty war
entschieden Neolog; doch er gebrauchte ebenso
gut richtige Archa'ismen. wie neue Wörter
und originelle Sahfügungen. Daher ist es zu
erklären, daß der durch Kazinczy begonnene
lange Sprachenkampf nach Vörösmarty's
Auftreten bald beendet wurde". In diesen
Urtheilen der drei Kritiker Paul Gyulay,
I . Sz<?kely und Baron Kemeny ist die
vollständigste Charakteristik des großen Dich»
ters und Menschen Vöröömarty, der unter
allen Umständen ein sehr bedeutender Poet
bleibt, zusammengefaßt. Sein ablehnendes
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Villata-Vrbna, Volume 51
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Villata-Vrbna
- Volume
- 51
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1885
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 350
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon