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Pogl Johann Nepmnuk 29 19Y Vog^ Johann Nepomuk 29
diese Balladen weht (es ist die Zeit uor
1848) ist Censur, nochmals (5ensur und aber'
mals Censur, und an diesen schwarzen Faden
reiht sich ein ganzer Todtentanz von Rittern
und Damen, ein gepaartes Miserere des
Mittelalters, eine lebendig gewordene Rüst«
kammer. Es ist eigen, daß diese Dichter für
ihre Romanzen und Balladen beinahe durch«
gehends historische Stoffe wählen und dieses
Durchbrechen des geschichtlichen Geistes kommt
mir wie das Zahnen der Kinder vor. welches
so oft mit Krumpfen verbunden ist. Krämpfe
werden auch eintreten, bevor dieses Element
sich rein durchbilden wird, dann aber wird
es der feste Quadergrund unserer Poesie sein.
Strenge genommen sind Ballade und Ro»
manze nur die Dichtungsarten, welche den
Hauptzweck der Poesie: Bildung durch Unter-
haltung bewirken können, durch das Herauf«
beschwören einer alten Zeit entwickelt nch
spielend uor unserem Geiste das durch den
Contrast um so schärfere Hervortreten der
Unseren, und wir stehen zwischen zwei Spie-,
geln, wo wir in dem vor uns auch den
hinter uns sehen. So weit hat es aber die
österreichische Balladenschule (4848) noch nicht
gebracht, sie ist leider wie jener Verdammte,
dem das Gesicht im Nacken sitzt, und der nur
rückwärts, nicht vorwärts sehen kann. lim
sich aber in etwas zu erHeden, in etwas zu
modernisiren, nimmt sie die vergangene Zeit
nicht, wie sie war, sondern dentt sich mit
ihrem Gefühl in jene Zeit, und dann sieht es
freilich aus, als wenn ein ganz gewappneter
Ritter Ballschuhe anhätte. Daß aus diesem
Balladenelemente sich für die österreichische
Poesie eine neue Aera entwickeln wird, ich
bin es fest überzeugt, aber die Dichter dürfen
ihre Helden nur nicht immer in eine der
Rüstungen der Amdraser Sammlung stecken
und sie dann ganz modern dmken lassen;
das können sie aber jetzt noch nicht, und
darum wird sobald kein österreichischer Poet
Romanzen, wie: „Der Rosenkranz" von
U hl and oder wie „Donna Clara" von
Heine, dichten. Den Oesterreichern steckt
noch zu viel Körner'scbes. zu viel Stol«
berg'sches Blut inne, auch Schil ler mit
seinen gespreizten (!!) Balladen spukt ihnen
noch immer im Kopfe herum. Uhland und
Goethe, sein „Fischer". „König in Thule",
„Gott und Bajadere". „Braut von Korinth".
das sind Evangelien für alle Tage des
Jahres. — V o g e l theilt mit seinen Schülern
manchen Fehler, hat aber unendlich viel Schönes voraus. In ihm triit ein Streben
nach Vollendung mächtig dervor. und seine
Balladensiguren sind mehr Chirtttere als Ge«
stalten, mehr freie selbstkräftige Figuren als
schwache schwankende Nebelhelden. Seine
Poesie neigt sich zu Uhland hin, nur ist sie
schärfer ausgeprägt, tiefer, doch roher ge»
schnitzt. Als Lyriker ist er gemüthvoll, zart
und weich und schließt sich dem trefflichen
Seidel an, der sich dafür in der Ballade
und Romanze zu Vogel hinneigt. Vogel ge»
nießt im Auslande einen bedeutenden Nuf,
aber mehr als Balladendichter, seine lmischen
Blätter wollen, wie es scheint, niän recht
durchdringen. Jedenfalls bleibt ader Vogel
einer unserer ausgezeichnetsten Sänger und,
wie ich oben sagte, der Stifter einer neuen
österreichischen Schule. Etwas weniger sollte
er schreiden. man begegnet ihm überall".
^Nebenbei sei bemerkt, daß hier Vogl und
Se id l immer und ganz irrig Vogel und
Seidel geschrieben erscheinen.)
V. Zur Kritik. Gottschall (Rudolpb). Die
deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfir
des neunzehnten Jahrhunderts. Literarhistorisch
und kritisch dargestellt. Zweite vermehrte uno
verbesserte 'Auflage (Breslau ikUl, Trewendt,
8".) Bd. I I I , S. 123. — Kurz (Heinrich).
Geschichte der deutschen Literatur mit aus-
gewählten Stücken auö den Werken ler uor
züglichsten Schriftsteller (Lelpzig il>oi>, Teubner,
schm. 4<>.) Bd. I I I , S. 7 u l^ nennt ihn da
irrig Johann Nicolaus); S. 38 ^nennt
ihn auch da I 0 dann Nic 0 lauö und schreibt
über Vogl als Luriker: daß die Lieder des
selben mit Ausnahme einiger weniger (z. B.
„Der Wolke Wanderung") ot'ne wahrhaft
poetischen Werth seien); S. 2l»W ^schreibt über
den Dichter, den er hier richtig Johann
Nepomuk nennt, daß derselbe fruchtbarer,
ader weniger begabt (als Halirsch), zwar
gut zu erzählen, aber den Stoff nicht künst«
lerisch zu gestalten wisse). — Laube fertigt
in seiner nicht mit Unrecht vergessenen „Ge>
schichte der deutschen Literatur" Vogl und
Seid l mit den Zeilen ab: „ . . . und auch
den viel singenden Hirten österreichischer und
steierischer Berge, dem Vogel (üio) und
Seid l u. s. w.. gelingt in der täglichen
Uebung manch ein Lied". — Lorm (Hiero»
nymus). Wiens poetische Schwingen und
Federn (Leipzig 1547. F. W. Grunow, 8".)
S. 231. — Schmidt (Adolph Dr.). Oester-
reichische Blätter für Literatur und Kunst
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Villata-Vrbna, Volume 51
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Villata-Vrbna
- Volume
- 51
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1885
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 350
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon