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Wagner, Joseph 24 103 Wagner, Joseph 24
gespielt, welche die Reminiscenzen der alten
Sckule mit allen Vorzügen der neuen künst«
lerisch, einheitlich zu verbinden verstand.
I I . Wagner's Charakteristik als Künstler.
Laube über denselben: „Wagner hat den
warmen Drang der Jugend, die lebensvolle
Kraft der Leidenschaft so warm. so lebensvoll,
so leidenschaftlich darzustellen «erstanden, daß
wir uns gewöhnt hatten, die tragischen Lied"
kaber und Helden innncr nur mir seinem
Namen zu benennen, immer nur in seiner
schönen Gcstalt verkörpert zu sehen, immer
nur mit seiner melodischen, aus den Tiefen
der Brust aufsteigenden Stimme zu hören.
Seine Erscheinung erhielt den Glauben
wach an die mögl iche Existenz jener
dichterischen Gestalten, welche mit
dem Alltagsleben nichts zu thun haben,
welche das Haupt über den Wolken tragen,
welche von Nektar und Ambrosia leben.
Wagner'ü Patbos war nichts äußerlich Er-
lerntes, es war der Ausdruck und Ausbruch
eines war'uen Herzens, war der Ausdruck
und Ausbruch einer überschwenglichen Be>
geisterung, welche in seinein Innern glühte.
S e brach hervor wi? ein Lavastrom. wenn
der Dichter Veranlassung dot. und riß die
Zuhörer in einen Flamwenkreis, der alle Be>
denken irdischer Hindernisse verzehrte und uns
ni höhere Regionen emporriß. Das war die
Signatur J o s e p h W a g n e r's: dn 6
Idea le g l aubha f t zu machen. Die
Gestalten Schiller'« werden umner seltener
auf der Bühne. Joseph Wagner roar
e.ne. Vielleicht weil er ein Wicnec war und
als solcher vo.i Kindheit auf den Schwung
Schiller's gläubig in sich aufgenommen.
Denn in Wien hat sich stärker als irgendwo
d-,'r Cultus Scki l ler's ausgebildet, weil daö
frühere österreichische Staatsprincip Alles
streng daniederhielt, was in freier Geistes'
bewe.qung aufstreben wollte, und weil der
Mensch um so ungestümer, um so rückhalts-
loser ins Ideale .springt, ie härter und
trockener die reale Wirklichkeit ihn einengt.
Eine der schönsten Rollen Wagner's war
der Hamlet. Wie er zu dieser in zahlreichen
Nuancen ausgearbeiteten Rolle gekommen,
war immer ein Rächsel. Der tiefcragiscke
Ton, welcher die Rolle durchbebte und sie zu
e.ner tief ansprechenden Hamletrolle machte,
zu einer Hamletrolle, derengleichen ich nie
gesehen, das verwunderte uns nicht. Aber
dieser Wechsel in den Stimmungen, gerade das. was ihm sonst fehlte, wie war ihm
dieser zugekommen? Cs ist Marr das Ver«
dienst zugeschrieben worden. Schwerlich mit
Recht, gewiß nicht mit vollem Rechte. Eine
geheimuißvolle Freundin lebte zu jener Zeit
neben Wagner in Leipzig, und dieser sagte
man nach, daß sie uon interessanter drama«
tischer Fähigkeit und daß sie ihm behilflich
gewesen sei, die Hamletrolle so interessant
auszuarbeiten. ^Diese geheimnißvolle Freundin
war eine Frau Beer, welche in der Folge,
1852. mit einem italienischen Sänger in
Hannover erschien.) Wagner hat später
diese Rolle in Wien. als ich (Laube) Di«
rector war, wohl dreißigmal gespielt, und
jedesmal haben wir die Nolle besprochen
und in Einzelheiten neu redigirt; ich weiß
dcchcr genau, ob sie eine blos „eingepaukte"
oder ob sie eine verständnißooll einstudirte
Rolle war. Sie war das Letztere, sie wnr ae>
sund aus seinem Verständnisse erwachsen.
Ileberhaupt sind Diejenigen im Irrthum,
welche ihn ob seiner wenig ausgiebigen Un-
terhaltung für einen bloßen Naturalisten
hielten. Er war kein dialektischer Geist, aber
er hatte den gesunden Geist des Talentes.
Sein Talent ergriff immer sogleich den geisti»
gen Mittelpunkt der Aufgabe und wußte auch
ganz gut darüber Rechenschaft zu geben.
Dabei wurde Wagner uon Jahr zu Jahr
reiner und edler in der Form. Er war
gegen Ausgang der Fünfziger-Jahre
der erste tragische H eldenl iebhaber
der deutschen Bühne. Gr>.'ße Schwierig-
keit entstand für ihn. als die abscheidende
Jugend den Uebergang in rin älteres Fach
gebot. Die Leidenschaft der Jugend mag ein-
tünig sein, man uergibt es ihr. Sie täuscht
durch den Ungestüm der Liebenswürdigkeit
über die Eintönigkeit. Aber was dem Jung-,
l ingc vergeben wird. das wird dem Manne
nicht vergeben. Vom Manne verlangt man
Zeichen des Charakters. Zeichen in der Mehr«
zahl, denn erst die Verbindung mehrerer
Züge des menschlichens Wesens bringt das
zuwege, was wir Charakteristik nennen, bei
edleren Rollen. Wer nur einen Zug stark
aufträgt, der gelangt nur zur Charge und
sinkt wohl bis zur Car ratur. jedenfalls
neigt er zum komischen Bereiche Diese Cha-
rakteristik war nun für Wagner kaum er-
reichbar. Zu ihr sind die „Wendungen"
nöthig, welche die ausgiebige Gangart des
Vollblutrosses nicht zuläßt, zu ihr ist eine
Bewegung des Gei'tes nöthig, welche ihm
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Vrčevic-Wallner, Volume 52
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Vrčevic-Wallner
- Volume
- 52
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1885
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 342
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon