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Wagner, Joseph 24 107 Wagner, Joseph 24
Erörterung erspart, er trat ein, lächelte zum
Gruß, steckte die schweigend übernommenen
Havanah schweigend in das Etui, zahlte
schweigend, lächelte wieder freundlich zum
Abschiede und verließ schweigend, wie er ge-
kommen, den Laden. Eineä Morgens, als er,
eine neue Rolle memorircnd. mehr drnn je
in Gedanken versunken in die Trafik getreten
war. freundlich gelächelt und einige Secun-
den gewartet hatte, wurden ihm noch immer
nicht die Cigarren gegeben. Das Mädchen,
welches ihn bereits dreimal vernehmlich ge-
fragt: „Wa5 stebt zu Diensten?" sah ihn, da
cr keine Antwort gab, befremdet an. Endlich
mochte es ihm doch zu lange gewährt haben,
cr blickte auf und — sah ein fremdes Ge-
sicht; eine ncue Verkäufern war an die
Stelle der früheren mit der Gepflogenheit
des Kunden vertrauten getreten. Das war
nahezu ein bedenklicher Moment für Wag-
ner! Vr mußte das ihm liedgewordene
Sckweigen brechen und sich zu ciner Rede
aufraffen. Endlich nach längerem Kampfe
entschloß er sich zu den Worten: „Ich brauche
täglich fünfzchn Stück Londres. Wollen Sie
sich dies genau merken. Ich spreche nicht
gern". Sprach's, ging und kam wieder durch
Jahre, ohne eine Sylbe zu reden. — Wag»
ncr war Mitglied der hciteren Rittergesell-
schaft „Grüne Insel" in Wien. an deren
Vm'ammlungsabenden er fast nie zu fehlm
pflegte und dann gewöhnlich ncbm dem
Schreiber dieser Zeilen saß. Ob seiner Reo>
seligkeit führte er den Nitternamcn: Bertram
der Redselige. Die Stimmung in der Gesell«
schafc war eine ungemein crregle. Erzählun-
gen, Bonmots, Witze flogen hin und ber, uno
der Inhalt dieser weingeborencn Schwänke
war nicht immer ganz unverfänglich. Wer
natürlich in diesem lebhaften Wort» und
Witzgeplänkel durch sein beharrliches Schwci<
gen glänzte, nur horchte, trank und das Feuer
seiner Cigarre nie ausgehen ließ, war Wag-
ner. Nun erhob sich Altmeister Ca stellt,
der Prior der Gesellschaft, und gal? ein Ge»
schichtchen zum Besten, das bezüglich seines
Inhaltes mit dem Gediegensten aus den an
dcn Priapus gerichteten epigrammatischen
Gedichten oder aus Stern berg's „Braunen
Märchen" kühn rivalisiren konnte und alles
bisher Erzählte weit übertraf. Wagner,
stets Aesthetiker, war von dem Inhalte so
betrossen, daß er, wie andere Leute vor Er-
staunen sprachlos werden, zu reden begann
und ausrief: „Ah! nun sag ich schon gar nichts mehr!" Alle sind über diesen Redefluß
frappirt, und wie aus einem Munde tönt's:
„Aber Sie haben ja überhaupt den ganzen
Abend nichts gesprochen!" In eine darauf
folgende Lacksalve stimmte Wagner selbst
aufs herzlichste mit ein, ohne jedoch weiter
ein Wort zu sprechen. Und so war Schweigen
— mit Ausnahme dcr Zeit, wenn er auf der
Bühne seine herrlichen Rollen mit einem
Feuer ohne Gleichen und dem Souffleur
Ruhe lassend, denn er lernte seine Rollen mit
eisernem Fleiße, spielte — sein eigentliches
Leben. Noch ein Capitel, wollte man darüber
berichten, würde ganze Seiten füllen: daä
Capitel „Wagner und die Frauen"; aber
nicht etwa, daß er dem schönen Geschlechte
nachstellte, nichts weniger als dies. sondern
das schöne Geschlecht versetzte ihn in einen
beständigen Belagerungszustand. Er war der
ausgesprochene Liebling der Frauen, und
Legion d^e Zabl der Briefe von Frauen und
Mädchen an dcn Künstler. Das Ergötzlichste
dabei war aber die Nulle, welche in dieser
heiklen Angelegenheit seine erste Frau spielte.
Denn sobald er ein Stelldichein erhielt, redete
sie ihm f.'rml ch zu, sich zu demselben einzu«
finden, und fragte ihn dann nach und nach
über den Erfolg aus. Einmal wies er dabei
auf eine Stelle seines herrlichen schwarzen
geringelten Haares, an der deutlich der Aus'
schnitt ciner mächtigen Locke erkennbar war.
Ginge cö nach Recht und Billigkeit, herrschte
noch Dankbarkeit in der Welt, den Künstler
Wagner hätten, wie einst zu Mainz dcn
Sänger Frauen lob. die Frauen zu Grabe
tragen müssen, denn er war ihr Liebling, ihr
Abgott. Seinem Andenken — er war mir ein
lieber warmer Freund, der mir auch über
den Jammer seines Daseins Vieles vertraute
— widme ich diesen Essay. Die mit ihm
verlebte Sommerfrische in Ober«St. Vlit
bleibt mir unvergeßlich.
IV. Porträts und Chargen Zoseph Wagner's.
Porträts, l) Unterschrift: „Joseph Wag«
ner". Lithographie (4".), ohne Angabe deä
Zeichners und Lithographen fauch im Album
des königlichen Schauspiels und der könig«
lichen Oper in Berlin. Wagner in jungen
Jahren). — 2) Unterschrift: „Joseph Wagner
in der Rolle des Marquis Posa". Daneben
das Facsimile seines Namenszuges. Daut-
hage (lith.) i8ö8. gedr. bei Ios. Stoufs
in Wien(Fol). — 3) Unterschrift: Facfi'
mile des Namcnszuges „ I . Wagner". Krie-
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Vrčevic-Wallner, Volume 52
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Vrčevic-Wallner
- Volume
- 52
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1885
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 342
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon