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Wilbrandt 103 Wilbrandt
Rostock, erhielt er seinH erste Wissenschaft-
liche Ausbildung in seiner Vaterstadt.
Der Genius der Poesie regte sich früh-
zeitig in ihm. Als Knabe von sechs
Jahren begann er zu dichten. „Zeichnuw
gen mit Gedichten erschütternden und er-
heiternden Inhalts", welche er, 6V2 Jahre
alt, dem Vater zum Geburtstage wid-
mete, geben Zeugniß davon, und wenn
er damals auch noch mit der Orthographie
auf schiefem Fuße stand und den Namen
Alexanders des Großen noch „Alechzan»
der" schrieb, so zeigen doch Verse und
Reime, daß sie nicht mehr die e:sten
waren, und daß der sechsjährige Poet
bereits eine Vergangenheit hatte. Nach
Beendigung der Vorbereitungsstudien be>
suchte er die Universitäten in Berlin und
München, an denen er Rechtswissenschaft,
classische Sprachen, Literatur und Ge»
schichte hörte. 22 Jahre alt, übernahm
er die Redaction des Feuilletons der von
Karl B r a t e r ins Leben gerufenen
„Süddeutschen Zeitung", die ihm Ge»
legenheit gab, nach allen Richtungen —
mit Ausnahme der pecuniären — eine
gedeihliche Thätigkeit und seinen gründ»
lich gebildeten Geist zu entfalten. Dieses
Blatt, man nennt es nicht mit Unrecht
das beste, welches damals Bayern hatte,
war von großer Bedeutung ebenso für
das Land, wie für dessen Hauptstadt.
Karl Brat er, obgleich schon kränkelnd,
übte großen Einfluß und vereinte eine
kle.ine, aber auserlesene Schaar trefflicher
Geisteskräfte um sich, welche in jenen
Tagen schon, 1839—l86l, das in Mün-
chen aufgepflanzte nationale Banner
siegesbewußt flattern ließen und ent»
schieden zu vertheidigen verstanden. Neber
und unter dem Strich stand die Zeitung
für den nationalen Gedanken mannhaft
ein. „Ihre stammenden Leitartikel",
schreibt ein Literarhistoriker, „wurden im ganzen Lande verschlungen, ihr geistvolles
Feuilleton, die schneidigen Kritiken in
Kunst und Literatur wurden allgemein be»
wundert und gepriesen, und trotz alledem
konnte die Zeitung auf keinen grünen
Zweig kommen; in München und im
ganzen Lande Bayern lobten die Leute
wacker, aber sie abonnirten nicht, und
das Gründerthum mit fetten Annoncen,
welche die Zeitung über Wasser hätten
halten können, gab's damals noch nicht."
Man hatte ja doch die Eigenart des
deutschen Volksstammes vergessen und
gar nicht in Anschlag gebracht, daß der
Bayer, wenn er sich auch als Deutscher
fühlte, den Bayer nicht vergaß, wie es
der Berner oder Walliser ganz wohl
weiß, daß er ein Schweizer ist, aber sich
doch bewußt bleibt, daneben ein Berner
oder Walliser zu sein. So lange das
Blatt in München herauskam, arbeitete
Wi lbrandt daselbst, als es dann nach
Frankfurt a. M. übersiedelte, folgte er
dahin und trat für die schleswig'hol-
stein'sche Frage ein, über welche er im
Auftrage des Frankfurter Sechsund-
dreißiger-Ausschusses eine Brochure ver-
faßte, die in 130.000 Exemplaren ver-
breitet wurde. Auch gab er eine auto«
graphirte politische Korrespondenz her-
aus, während er zu gleicher Zeit den
dreibändigen Roman „Geister und Men-
schen" vollendete. Ueberdies schrieb er
in Berlin, wohin er inzwischen gereist
war, um Materialien für seine Mono»
graphie über Kleist zu suchen und zu
studiren, an welcher er dort auch arbei«
tete, politische Leitartikel für die „Süd-
deutsche Zeitung". So mitten im heißen
Sturm und Drang dieses unter den ob«
waltenden Umständen wohl tapfer rin-
genden, doch aber dem Tode geweihten
Zeitungsunternehmens stehend, dann
wieder seinem poetischem Dränge nach'
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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Wiedemann-Windisch, Volume 56
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Wiedemann-Windisch
- Volume
- 56
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1888
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 340
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon