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Mildauer, Mathilde 135 Mildüuer, Mathilde
ihr Name in Deutschland wenig und über
die Grenzen desselben gar nicht bekannt
war. Sie hatte wohl in den Fünfziger-
Jahren hie und da, und überall mit glän-
zendem Erfolge, gastirt, war aber in
ihren Gastspielreisen nicht über Dresden
hinausgekommen. Mehrere Sommer
hintereinander sang sie in Prag und fand
von Seite dieses für Gesang und Musik
so empfänglichen Publicums jedesmal
enthusiastische Aufnahme. Und doch
lehnte sie ab, als ihr wieder der Antrag
zu einem Gastspiele gemacht wurde. Die
Ursache ihrer Ablehnung stimmt ganz zu
der im Laufe dieser Skizze gegebenen
Charakteristik der Sängerin. Director
Thomö bot ihr nämlich ein sehr vor-
theilhaftes Gastspiel auf der großen
Sommerbühne in Prag an, in welcber sie,
wie dies in jenen Tagen der „Tivolis"
und „Arenas" üblich war, bei Tageshelle
auftreten sollte. Sie erklärte sich aber
entschieden gegen dieses Ansinnen mit
den Worten: „Ich bin nicht mehr jung
genug, um mein Gesicht ohne Lampen-
licht präsentiren zu können." Ihr Tod
siel in die Tage der Weihnachtsferien.
Wohl war ihr Sarg mit Kränzen über»
deckt. Aber die Leichenfeier, wenngleich
würdig, siel nicht so aus, als es zu einer,
anderen Zeit der Fall gewesen wäre.
Die Wiener waren eben über und über
mit den Vorbereitungen zum Christabend
beschäftigt; der Gedanke, den Kindern
Freude zu bereiten, trug über Tod und
Grab den Sieg davon.
I. Zur künstlerischen Charakteristik des Frau-
leins NMdauer. Dcr Name Wildauer
stand seinerzeit ebenso in erster Reihe, wenn
man uon Künstlcrinen des Burgtheaters
sprach, wie jener der Neumann. Goß«
mann. Haizinger n. s. w. und doch ge-
hörte sie zu jenen Mitgliedern der Hofbühne,
die eigentlich ihrer künstlerischen Veranlagung
nach nicht ganz in dieselbe paßten, wenn- gleich der Genius unserer Künstlerin es ue»
stand, diesen Widerspruch zwischen Eignung
und Anpassung auszugleichen. Noch während
sie in den oben in der Lebensstile angeben»
teten Uebergangen auf dem Burgtbeater thätig
und noch nicht sehr beachtet war, trat sie be>
reits im Theater an der Wien und in der
Iosephstadt bei Woblthätigkeitsuorstellungen
als Localsängerin auf, so Tils Rosa in
R a i m u n d ' s „Verschwender", in I . G.
Seid l 's „Letztem Fensterln" u. a.. und
zwar in ganz überraschend deworragender
Weise und mit glänzendem Erfolge. Ein sel<
tener Verein von entsprechenden Eigenschaften
und begünstigenden Umständen traf dier zu-
sammen, um ein völlig harmonisches Ganzes
Zu erzielen. Auf diesen Bühnen entfalteten
sich ihre natürlichen Anlagen bei weitem
freier, als auf dem heiklen Boden des Burg«
theaters, wo traditionelle Rücksichten im
Konversationsstücke nicht nur gewisse Grenzen
ziehen, sondem auch posmue Forderungen an
die „Feinheit" der Schauspieler stellen. Die
Localsängerin war ibre eigentliche Domäne,
und mag der Dramaturg dieses Fach immer»
hin klein, gering nennen, darin war sie wirk»
lich groß. So uiel uon „Feinheit" aber, von
gebildeten Formen hatte sie sich im Burg»
theater bereits angeeignet, um damit in der
Porstadt Capital zu machen und ihren Local»
rollen einen wohlthuenden Nimbus von De«
cenz und richtigem Maße zu verleihen, wel«
chen man sonst an diesen Orten nicht Zu
finden gewohnt war, und welcher dock
wieder niemals so weit ging, ihrer Natur«
lichkeit. ja man darf sagen der echten Volks«
thümlichkeit ihrer Localrollen Abbruch zu
thun. Es hielt eben eine Eigenschaft der an«
deren aufs glücklichste die Wage. Da-u kam
noch eine musterhafte Aussprache des Local«
dialektes, gleich fern von Roddeit und von
Assectation. ein nettes Stimmchen, ein treff»
licher Coupletuortrag. ein gan; und gar ent-
sprechendes Aeußere — man nedme Alles
nun in Allem, sie war das Idea l einer
Localsängerin. Und offen gesprochen:
da 6 war das Ui'fach der Wildauer. der
erb< und eigenthümliche Boden, auf dem sie
genial sein konnte. „Hütte Raimund länger
gelebt", schreibt ein Kritiker jener Tage. „in
der Wi ldauer an seiner Seite wäre eine
bessere Krön es aufgestanden, und dem dra»
matifnten Volksmärchen, der Volkspoesie, der
Volksbühne waren goldene Tage erstanden.
Der arme Raimund aber hatte sick eben
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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Wiedemann-Windisch, Volume 56
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Wiedemann-Windisch
- Volume
- 56
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1888
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 340
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon