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Winckelmann 266 Winckelmann
nach seiner Rückkehr 1763 zum Ober
aufseher aller Alterthümer in und um
Rom ernannt, schrieb er nun, da er Er»
fahrung und Muße genug besaß, eine
Reihe der lehrreichsten und gediegensten
Werke über antike Kunst, dieser Wissen-
schaft ein neues und reiches Feld erobernd,
worin er bis heute wohl gewürdigt und
nachgeahmt, aber nicht erreicht wurde.
Sein Hauptwerk indeß bleibt immer die
,Gl5chichte der Uun5t dez Alterthums, 2 Theile
(Dresden 1764, Walther, gr. 4". mit
24 KK.), von welchem nach seinem Tode
die Akademie der bildenden Künste in
Wien «Rath Riedel) eine 2. verm.
Ausgabe (Wien 1776, Binz, gr. 4<>.)
veranstaltete. Mit diesem Meisterwerke,
welches, wie es in der Natur der Sache
liegt, später wohl Zusätze und Berichti«
gungen erhalten hat, erscheint er als der
eigentliche Schöpfer und Begründer der
Kunstwissenschaft. Er ist in derselben
nicht etwa ein trockener Darfteller der
gesehenen alterthümlichen Objecte, son»
dern in Darstellung und Styl gleich
mustergiltig, ja geradezu classisch, erhebt
er sich bei der Beschreibung der Kunst»
werke antiker Plastik zu dichterischem
Schwünge. So hatte er sich in seiner
neuen Heimat vollends eingelebt, und
nur Abschied wollte er nehmen von seinem
Vaterland jenseits der Alpen und seine
Jugendfreunde drüben begrüßen, als er
sich zur Abfahrt nach dem Norden rüstete.
I n froherregter Stimmung trat er denn
auch seine Reise im Frühjahre 1768 an.
Am 10. April verließ er in Begleitung
des Bildhauers Cavaceppi die ewige
Stadt. Als er die italienische Grenze
überschritten und vor sich die Tiroler
Berge sich aufthürmen sah, wurde er
schwermüthig und rief zu seinem Ge>
fährten: „Sehen Sie doch, welch' schreck«
liche und schaudervolle Gegenden, welch' unermeßlich emporsteigende Gebirge!"
Und diese Melancholie verließ ihn nicht
mehr, je weiter er reiste. Die Sehnsucht,
zurückzukehren, wuchs mit jeder Stunde.
Beim Anblick der deutschen Häuser rief
er aus: „O, welch' abgeschmackte Bau»
art, sehen Sie doch nur die spitz zulaufen-
den Dächer!" Vor Augsburg noch wollte
er bereits umkehren und machte den
Reisegefährten schon um seine Gesund«
heit besorgt. I n Regensburg aber ließ er
sich nicht mehr halten und beschloß- die
Rückreise über Wien und Trieft. Am
12. Mai traf er in ersterer Stadt ein
und wohnte im Hause eines Herrn
Schmidtmeyer. Nun machle er seinen
Besuch bei dem Fürsten Kaunitz, und
zwar in Begleitung C a v a c e p p i's.
Dieser klagte theilnehmend dem Fürsten,
Winckelmann sei fest entschlossen, nach
Italien zurückzukehren. Kaunitz ergriff
des gelehrten Forschers Hand und sprach:
„Wie können Sie das Herz haben, Ihren
lieben Freund in einem fremden Lande
zu verlassen? Ich bitte Sie, was ich
bitten kann, ändern Sie doch diesen Vor-
satz." Winckelmann, von diesen Wor»
ten tief ergriffen, brach in Thränen aus,
das Wort versagte ihm im Munde. Da
faßte Cavaceppi seines Gefährten
Hand und sagte mit sanften Worten:
„Lieber Freund, Sie thun nicht gut;
aber weil es Ihnen so gefällt, so tragen
Sie nur Sorge für sich selbst. Ich
empföhle Sie Gott!" Diese Scene ergriff
Winckelmann so sehr, daß er erkrankte,
in ein Fieber verfiel und mehrere Tage
das Bett hüten mußte. Von Kaunitz
hatte er erne goldene Schaumünze zum
Andenken erhalten. Nachdem er sich von
seinem Unwohlsein erholt, stellte ihn
Baron Sperges der Kaiserin Mar ia
Theresia vor. Huldvoll empfing ihn
dieselbe, wohlwollend den Wunsch aus»
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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Wiedemann-Windisch, Volume 56
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Wiedemann-Windisch
- Volume
- 56
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1888
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 340
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon