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Wolf, Gerson 283 Molf, Gerson
Wunsch nahe, ein Söhnlein zu bekom-
men, da ĂŒberhaupt nach israelitischer An-
schauung Töchter nicht gleichwerthig mit
Söhnen sind. Um also das ersehnte Ziel
zu erreichen und einen Sohn zu bekom»
men, veranlaĂte die fromme Mutter, als
sie zum fĂŒnften Male guter Hoffnung
war, ihren Gatten, den Theil eines
Hauses zu kaufen, in welchem der ehe-
malige Rabbiner von Holleschau. Sab»
batai Kohen seinen Studien obgelegen
hatte. Derselbe gehörte nÀmlich zu Den»
jenigen, welche zur Zeit der Verfolgun«
qen der Juden in RuĂland bei Gelegen»
heit der Empörung des Kosakenhetmans
Chmielnicki im Jahre 4648 von dort
flĂŒchteten. Verfasser mehrerer im Juden-
thum geschÀtzter Schriften, zÀhlt er zu
den bedeutendsten AutoritÀten auf dem
jĂŒdisch-talmudischen Gebiete, und knĂŒpfen
sich an ihn Sagen und Mythen. I n
seiner ehemaligen Studirstube, einem
dunklen Alkoven, genas nun Frau Wolf
glĂŒcklich eines KnĂ€bleins, das alsbald
der Liebling der Eltern, vornehmlich der
Mutter wurde. Kaum drei Jahre alt,
kam Gerson bereits zum Lehrer, der
ihm im HebrÀischen Unterricht ertheilte,
im schulpflichtigen Alter aber besuchte er
die Normalschule. Mit zunehmendem
Alter des Knaben wurde jedoch der
Hauptton auf das HebrÀische, auf das
Erlernen des Mischna, dann des Talmud
und derCommentatoren desselben gelegt.
Dreizehn Jahre alt, war Gerson in der
Lage, ganze Capitel selbst aus dem Buche
âHiob", welches zu den schwierigsten der
Bibel gehört, auswendig zu recitiren.
Auf die Ausbildung des Knaben in der
deutschen und dann der lateinischen
Sprache nahm der damals in Holleschau
garnisonirende Regimentsarzt E genrer,
welcher unter dem Pseudonym Benedict
Dalei mehrere poetische Schriften ver« öffentlicht hat, besonderen EinfluĂ. Als
Gerson l836 das Vaterhaus verlieĂ,
ging er zunÀchst nach Pohrlitz, dann
nach Nikolsburg, wo er die Talmud-
studien fortsetzte und privatim die Gym-
nasialgegenstÀnde studirte. Er hatte die
Absicht, sich dem Rabbiner' und Pre-
digerstande zu widmen, worin er noch
mehr bestÀrkt wurde, als der Ruf des be-
rĂŒhmten Kanzelredners M annheiine r,
der damals Prediger in Wien war, zu
den Ohren des JĂŒnglings drang. Zu jener
Zeit erschien in Wien, von dem bekannten
Jugendschriftsteller Ebersberg redigirt,
die Zeitschrift âDerZuschauer", in welcher
manche der spÀter oft genannten österrei-
chischen Schriftsteller ihre ersten Arbeiten
niederlegten. Im Blatte war ein Raum
fĂŒr die Korrespondenz vorbehalten, und
in dieser erging sich der Redacteur ganz
offen ĂŒber die ihm zugekommenen Ein»
sendungen. Auch Gerson, der ein-
gesendet hatte, wurde in demselben, und
zwar in so freundlicher Weise behandelt,
daĂ er sich an Ebersberg brieflich mit
drr Anfrage wendete, ob es rathsam
wÀre, nach Wien zu gehen und daselbst
die Studien fĂŒr seinen kĂŒnftigen Beruf
fortzusetzen, und ob es möglich wÀre, sich
durch Unterrichtertheilen, Besorgung von
Abschriften u. d. m. wenn auch nur die
bescheidensten und nothdĂŒrftigsten Mittel
zur Existenz zu verschaffen. Ebersberg
antwortete dem Fragesteller in wohl«
wollendster Weise und ermunterte ihn,
den gefaĂten Plan auszufĂŒhren. Vorder-
hand aber muĂte Wolf denselben noch
verschieben, es galt nÀmlich, sich noch
mehr Kenntnisse zu erwerben und dann
eine kleinere Barschaft zurĂŒckzulegen, um
damit die Reisekosten zu bestreiten und
die Mittel zu haben, mindestens die erste
Zeit in Wien leben zu können. Im Oc>
tober 1889 â also da er 16 Jahre alt
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Windisch-Wolf, Volume 57
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Windisch-Wolf
- Volume
- 57
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der UniversitÀts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1889
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 334
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon