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Vranitzky, Paul bky, Paul
auf Symphonien und Quartette übertragen!
Unser Zeitalter, welches die Symphonie fast
nur im Geiste B eeth o oen'scher und Men-
de ls so hn'scher Idealität zu fassen gewohnt
ist, mag schwer begreifen, wie man auch den
leibhaftigen Hanswurst in die Syln-phonie
bringen könne. Und doch bat dies Wra«
niyky gethan. Dieser Mißbrauch, den er mit
Lust ani Volksgesang getrieben, zeigt uns
aber wieder, wie tief die ganze Mozart«
Haydn'sche Schule ihre Wurzeln in der
uolksthümlichen Sangesweise getrieben hatte.
W r a^l i ß k n merkte ?6 gar nicht, welch
schneidender Widerspruch darin lag, jene
natürliche Einfalt und grobe Komik des
niedersten Volkstones, die eigentliche Bänkel«
sängerei zur durchgehenden Grundstimmung
einer Symphonie zu machen! Etwas ganz
Anderes ist es. diesen Ton in solchen Werken
gelegentlich einmal leise anklingen zu lassen-
das hat nichc nur Haydn, das hat selbst
Beethoven im übersprudelnden Humor
manchmal gethan, Wran i t z k y dagegen
bietet in den Tondichtungen höheren Sty'ls
durchwegs Pumpernikel. AlS historisch denk«
würdig ist aber diese Thatsache zu betonen,
daß hier das oolksthümlicke Element bis zu
solcher Ungebühr in den Itistrumentalsatz ein»
gedrungen ist. Ein Quartett, eine Symphonie l
kann nicht wobl bloßes Lowlstück sein; Wra»
nilzky aber hat immer bloß als echter Oester«
reicher für Oesterreicker geschrieben. , Nicht
bloß die zartere volksthümlicke Gemüthlich'
keit. sondern auch den plumpen Kasper!«
Humor, die breite, weiche, mit sich selbst tan»
delnde Gutherzigkeit seiner LanoSl^ute strebt
er in den Instrumentalwerken wie in seinen
Opern als stete Gnmdfärbung festzuhalten.
Dadurch hat er so glänzendes, aber auch so
schnell verhalltes Lob geerntet, namentlich in
Oesterreich. Von der sinnigen Zartheit, mit
welcher Haydn in Rondos und Menuets
ähnliche local uolkstbümliche Elemente zu
verklären weiß, findet sich bei Wranitzkn
keine Spur; er ist derber Naturalist und
führt stets einen breiten Misch der dann bei
seiner erstaunlich großen und. wie es scheint,
sehr flüchtigen Productivttät, weit seltener
den frischen markigen Ton eines echten Kunst'
wcrkes fürs Volk treffen mag. als er zu
platter Darstellung der Alltäglichkeit herab»
sinkt, wie denn der Meister auch nicht selten
eine ganz ernsthast musicalische Periode so
recht in toller Wienerischer LustWeic durch
die wunderbarste Gassenbauenuelodie unter« brechen läßt. Vranitzky hat nebenbei eine
ziemlich große Zahl Opern componirt und
zu unserer Großvaterzeit paradirte sein
„Oderon" auf allen deutschen Bühnen. Wenn
wir diesen „Oberon" vergleichen mit dem
Weber'schen. der ihn rasch in d:e Vergessen«
heit gestoßen hat, dann gebt uns erst recht
ein Iicht auf, wie wenig diese breite, behag«
liche und spaßhafte Wiener Musik zu der
Romantik der Oper pahte. Ja, die Wra«
nitzky'schen Opern wollen uns überhaupt
heutzutage so wenig uiedr anmuthen, daß
w r selbst dann. wenn wir uns mit größter
Selbstentäußrrung auf den historischen Stand»
punkt jener Tage zurückversetzen, kaum be«
greifen, wie dieselben ein Publicum zu ent»
zücken vermochten, das bereits an Gluck,
Mozart und den großen Italienern sich er«
baut und durck ihre hohen Ideale zur ästbe»
tischen Mündigkeit erhoben hatte. So all»
gewaltig wirkte eben doch der Zauber des
damals neu gewonnenen uolksthümlichen
Elementes, daß man ihm selbst da nicht wider«
stehen konnte, wo ein wirklicher Mißbrauch
damit getrieben war. Darin aber liegt der
große Unterschied zwischen Wenzel M ül»
lel,'s und Wranitzkn'» dramatischen Wer»
ken. daß Mül lel's Possen nichts weiter prä-
tenoiren als ergötzliche Vänkelsänaerei, wäd»
rend W r a n i k k n's Bühnenarbeiter! zum
Theil sich anlassen, als wollten sie große
wohl gar romantisch? Opern sein, da sie doch
in der That nichts weiter sind, als bloße
Bänkelsängereien. Darum boren wir heute
Wenzel Müller's Possen immer nock mit
Vergnügen, wahrend uns W r a ri i tz k y's
Opern ganz ungenießbar geworden sind.
Durch Wranitzkn's wie durch Handn's
dramatische Leistungen wiro es uaS erst recht
klar. daß dieser große Meister sammt seinen
Schülern zum Operngenre eigentlich nicht be<
rufen gewesen. Gar wohl gelang es ihnen.
Subjectivität in oer reichen Sangesfülle
zarter und tiefer Lmik auszuströmen, gar
wohl dieselbe in dem breiren klaren Strome
classischer, Epik objectiv zu sp«geln, doch
nimmer vermochten oder achteten sie die
höhere, auch das Individuellste durchdringende
Objecttvität des echt drauiatcschen Styles zu
erreichen." So Nie hl. wie ged'.egen. tief in
den Geist eindringend! Während der alt«
oäterische. behäbige Gerber, nachdem er ge.
klagt, daß ihn Wranitzky noch immer auf
Nachrichten üb.er sein Leben warten lassr.
fortfährt: „Indessen, wenn wirken leben
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Wolf-Wurmbrand, Volume 58
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Wolf-Wurmbrand
- Volume
- 58
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1889
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon