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Wucherer 212 Mucherer
sich dazu verschiedener Winkelpreffen,
deren eine geheim auf der Landstraße be-
stand, wurde aber zuletzt so verwegen,
daß Johann Rautenstrauch, der be-
kannte Freiheitsapostel der Iosephinischen
Periode M . XXV, S. 6^, endlich
gegen das unverschämte Treiben Wu«
cherer's öffentlich auftrat und mit der
Schrift: „Wie lange noch? Eine Pa-
triotenfrage an die Behörde über Wu-
cherer's Scarteken-Großhandel" Wien
17871 an die öffentliche Meinung appel-
lirte, dem schamlosen Treiben dieses aus
der Fremde eingewanderten literarischen
Buschkleppers ein Nnde zu machen. Dies
half, die Behörde schritt ein, die Buch-
Handlung des „gewesenen Groß- und
Buchhändlers" Wucherer wurde ge»
sperrt, er selbst aber „wegen höchst-
wichtiger Ursachen (gröblichster Beleibt»
gungen des Kaisers) und Schamlosig'
keiten aus den kaiserlichen Erblanden
abgeschafft". Es scheint aber, daß er
auch nach seiner Abschaffung noch manch
berüchtigtes Pamphlet gedruckt habe'
doch dem systematischen Unfuge mit dem
ergiebigen Handel von Schandschriften
war doch ein Riegel vorgeschoben. W u»
cherer selbst war bald darauf ver«
schollen, und über seinen ferneren Ver.
bleib und sein Ende fehlen alle Nach°
richten. Da Rautenstrauch's Schrift
gegen Wucherer, sowie überhaupt die
meisten Flugschriften aus dieser denk«
würdigen Zeit, zu den bibliographischen
Seltenheiten gehören, so hat dieselbe
Gräffer im 3. Hefte seiner „Iosephi.
nischen Curiosa", welche eine Fülle inter«
effanten Materials zur Geschichte und
Culturgeschichte Oesterreichs <780—1790
enthalten, wörtlich abgedruckt. Nas nun
die Wucherer'schen Pamphlete betrifft,
so war eine Anzahl direct gegen 'Kaiser!
Joseph I I . gerichtet, und wenn man dieselben aufmerksam liest, so gewinnt
man die Ueberzeugung, daß hinter
Wucherer eine mächtige Partei stak,
die sich seiner zunächst bediente, weil
seine Frechheit keine Grenzen kannte und
er auf alle Gefahr hin Alles wagte,
womit den Gegnern des Kaisers zunächst
gedient war. Eine wichtige Rolle in
diesen Pamphleten spielt die Frei-
maurer-Li teratur, welche auf die
Vermuthung führt, daß Wucherer auch
im Solde der Freimaurer gestanden,
wenn er nicht selbst ein solcher gewesen-
überhaupt scheint er eine Art literarischer
Bravo, der für Geld Alles druckte, was
man von ihm verlangte, gewesen zu sein.
Wucherer veranstaltete einen Abdruck
der durch des Kaisers Joseph I I . am
16. December 1788 erlassenes Frei-
rnaurerpatent hervorgerufenen Frei»
maurerschriften. Das eine Reform der
Freimaurerei bezweckende, vom Kaiser
Joseph selbst verfaßte Freimaurerpatent
machte in den betheiligten Kreisen solches
Aufsehen, daß Mitglieder dieses Bundes
selbst diese N eformation eine Nevo»
lut ion nannten. Wie die aus diesem
Anlaß erschienenen Schriften, so gehört
die Wucherer'sche aus zehn Heften be-
stehende Collection auch zu den größten
bibliographischen Seltenheiten, und da
die Freimaurer auch in unseren Tagen
eine eindringlichere Rolle spielen, als das
große Publicum ahnt, so gewinnt die
diese geheime Gesellschaft betreffende
Literatur jener Tage auch für die Gegen»
wart Interesse, daher wir die Titel der
in der Wucherer'fchen Collection er»
schienenen Freimaurerschriften hier bei»
fügen- sie lauten: „Briefe eines Bieder»
mannes an einen Biedermann über die
Freimaurer in Wien"; — „Drei Briefe
über die Maurerrevolution in Wien";
— „Kaiser Josephs Reformation der
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Wolf-Wurmbrand, Volume 58
- Title
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Subtitle
- Wolf-Wurmbrand
- Volume
- 58
- Author
- Constant von Wurzbach
- Publisher
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Location
- Wien
- Date
- 1889
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.41 x 21.45 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Biographien, Lebensskizzen
- Categories
- Lexika Wurzbach-Lexikon