Seite - 216 - in Nikolaus II. Esterházy und die Kunst - Biografie eines manischen Sammlers
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GESTALTEN WIE EIN
KÖNIG216 313 Angeblich sei Nikolaus die Krone von Napoléon
angeboten worden, was dieser »mit Entrüstung
zurückwies« (Horváth, Carl v.: Das fürstliche
Haus Esterházy, in : Österreichische Revue, Jg. III
[1865], Bd. 4, S.
44). Ferdinand Strobl von
Ravelsburg will sogar wissen, dass Nikolaus
beim Treffen mit Napoléon in Paris 1810
seine »Geistesgegewart« verloren habe, »er gab
verwirrte Antworten« (Strobl von Ravelsburg
1907, S. 198). Der Brockhaus dagegen formu-
lierte vorsichtiger, dass »man den unglücklichen
Einfall« hatte, die Proklamation Napoléons von
1809 auf Nikolaus »zu deuten« (Brockhaus-
Coversations-Lexikon der neuesten Zeit und
Literatur, Bd. 1, Leipzig 1832, S. 863). Vgl.
Kinderfreund 1860, S. 12. Die Legende hält
sich bis heute ; vgl. Antonwicz 1995, S. 70f.
314 Vgl. Puttkamer 2008 ; Willy 1956 ; Gragger
1923.
315 Er berichtet, dass sein Briefüberbringer zweimal
als Spion aufgehalten worden sei (vgl. Niko-
laus II. an Henriette Zielinska, 17. Mai 1809,
in : MOL, FAE, P134, E, Nr.
859).
316 »On dit que l’Empereur Bonaparte a proposé
aux Hongrois de leur donner un roi ; on croit
que ce sera un Esterhazy« (Comte Eugène de
Roussy de Sales an seine Mutter, 4. Juni 1809,
französische Privatsammlung. Publikation der
Briefe von François Houdecek, responsable de
l’édition de la Correspondance de Napoléon,
Fondation Napoléon, Paris für 2011 geplant).
317 Auch Galavics 2007, S. 42ff. deutet die Halt-
losigkeit der Legende an.
318 Nikolaus II. an Henriette Zielinska, 26. Juli
1809, in : MOL, FAE, P134, E, Nr. 850.
319 Nikolaus II. an Henriette Zielinska, 17. Mai
1809, in : MOL, FAE, P134, E, Nr. 851.
320 Vgl. Nikolaus II. an Henriette Zielinska, 26. Juli
1809, in : MOL, FAE, P134, E, Nr. 850.
321 So am 23. bis 25. Mai 1809, dann wieder ab
dem 7. Juni 1809 (vgl. Skall, Johann Baptist :
Historische Memoires denkwürdiger Begebenheiten
am kaiserlich oesterreichischen Hofe in den Jahren
1808, 1809 und 1810. Von einem Augenzeugen,
2. Teil [1809], S. 450f., 456ff., in : ÖNB, Han,
Ser. nov. 12.156). Seine Briefe belegen, dass er
zwischen Pest, Komorn, Totis und Ungarisch-
Altenburg pendelte.
322 Außerdem hatte das Land vom Krieg profitiert,
denn Ungarn war bis 1809 von Kriegshand-
lungen nahezu verschont geblieben. Seine
Agrarprodukte fanden bei den nahe der Grenze
stationierten Truppenkontingenten Österreichs
regen Absatz. Damit stiegen die Preise für die
ungarischen Landwirtschaftsprodukte so stark,
dass selbst die Inflation neutralisiert wurde.
Darüber hinaus wirkte sich die Konjunktur
der Landwirtschaft seit ca. 1795 besonders
positiv auf die gesamte Ökonomie des Landes
aus, die noch durch die Kontinentalsperre ab
1806 beflügelt wurde. – Statt also nach Napo-
léons Aufruf auf das Rákosfeld zu ziehen, um
diesem Zusammenhang kam schnell das Gerücht auf, dass Napoléon längst den
Kandidaten für die ungarische Krone ausersehen habe : Fürst Nikolaus II. Esterházy
sollte König von Ungarn werden !313 – Der ungarische Majoratsherr mit dem klei-
nen schwäbischen Fürstentum sollte ungarischer Regent von Napoléons Gnaden
werden !
Der Kaiser der Franzosen ging davon aus, mit dem Vorschlag eines eigenen un-
garischen Königs – und damit der Ablösung des Königreiches aus dem habsburgi-
schen Machtbereich – bei den Ungarn offene Türen einzurennen, die schon oft für
die Unabhängigkeit von Habsburgs Regenten eingetreten waren. Zuletzt war es
1789 der junge Fürst Carl August von Sachsen-Weimar gewesen, den die Ungarn
vielleicht auch wegen seines ambitionierten und gerade entstehenden Musenhofes
ausgewählt hatten, der aber von Goethe abgehalten werden konnte314. Aus Na-
poléons Sicht hätte auch Nikolaus II. für dieses Unterfangen eine gute Besetzung
darstellen können. Denn mit seinem repräsentativen, fast königlichen Lebensstil
und seinen fehlenden politischen Ambitionen wäre der Esterházy-Fürst eine gute
Wahl für Napoléon und seine Politik der glanzvollen, aber politisch unmündigen
Satellitenstaaten gewesen. Nikolaus war Ungar, hatte Napoléon 1803 getroffen
und suchte nach westlichen Anknüpfungspunkten. Seine »Franzosenfreundlich-
keit« äußerte sich in seinem Kunstgeschmack und bei seinen Personalentscheidun-
gen, was ja von der österreichischen Polizeihofstelle ebenso beobachtet wurde wie
er selbst315.
Daher machte das Gerücht über den Esterházy-Thronprätendenten im verunsi-
cherten Wien 1809 schnell die Runde. So schrieb am 4. Juni 1809 ein französischer
Dragoner aus Wien, dass Napoléon sich mit dem Gedanken trage, einen Esterházy
mit der Krone Ungarns zu versehen316. Bei Napoléon selbst findet sich keine einzige,
auch keine spätere Äußerung, kein Kommentar oder gar schriftliche Quelle, die
irgendeinen Hinweis auf einen ungarischen Kronprätendenten gegeben hätte317. In
das Bild des fein ziselierten Machtspiels von Gerüchten, mit denen Napoléon un-
ter den Regenten und Mächtigen Europas Politik machte und besonders in Wien
unter den Erzherzögen Missgunst und Streit aufkommen ließ, passte das Gerücht
der Esterházy-Königswürde allerdings bestens. – Und auch von Nikolaus II. gibt es
keine Äußerungen zur angeblich angebotenen Königswürde. Er war kein politischer
Gestalter, sondern Beobachter. In seinen privaten Briefen kritisierte er zwar das
ewige Taktieren und Zögern der »pitoyables archiduces«318, die sich gegeneinander
ausspielten, und sah darin das Debakel der französischen Invasion, »le pitoyable état
de choses & de notre pauvre gouvernement«319. Und obwohl er in der »Blödheit« des
Kaisers den Grund für die unerträgliche, traurige und seiner Würde nicht angemes-
sene Lage Österreichs und Ungarns sah, war Napoléon in seinen Augen jetzt stets
der Aggressor. In seinen emotionsgeladenen Briefen sah er das Habsburgerreich Na-
poléons Entschlüssen ausgeliefert, gar die Zerstörung des Staates kommen. Einmal
trug er sich sogar mit dem Gedanken, das Land zu verlassen, wofür ihm aber das
Geld im Ausland fehlte, wie er selbst eingestand320. Während der Invasion Napolé-
ons in Wien und der Proklamation an die Ungarn war Nikolaus fast täglich an der
kaiserlichen Tafel im österreichischen Feldlager Wolkersdorf 321, demonstrierte die
Gefolgschaft und Nähe zu seinem Kaiser und dessen Generalstab.
Vielleicht lag die Ungerührtheit Nikolaus’ über das angebliche Thronangebot
auch darin begründet, dass Napoléon 1809 auf sein Angebot einer ungarischen
Unabhängigkeit nicht die gewünschte Reaktion erhielt. Denn die Angst der unga-
Nikolaus II. Esterházy und die Kunst
Biografie eines manischen Sammlers
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Nikolaus II. Esterházy und die Kunst
- Untertitel
- Biografie eines manischen Sammlers
- Autor
- Stefan Körner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 2.0
- ISBN
- 978-3-205-78922-2
- Abmessungen
- 23.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 404
- Kategorie
- Kunst und Kultur