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Tagebuch 1937/1
Zeit sind : der Vollmond dann hat d. Verdienst, endlich gutes Wetter gebracht zu
haben.
–14
25. [April]
Abends. Noch in Lausanne. Wir haben gemeint, daß d. Sonntag heute ein Ruhetag
sein wird – daweil* ists ganz anders gekommen. Früh waren wir bei wunderbar erfri-
schendem Schönwetter in einem Park, wo wir Vögeln in einer Volière zusahen und
uns sonnten, bis das Museum darin um 10h aufmachte. Bis auf eine Bronzegruppe
von Soldani (Perseus tötet d. Medusa, daneben Pegasus, auf Marmorsockel) nichts
los. Das richtige Museum ist d. erschreckendste Bau u. d. erschreckendste Tothän-
gung u. Totaufstellung d. Skulpturen, die denkbar ist. Da alles „gratuit“ war, haben
wir nur Spaß gehabt u. 3 Ansichtskarten von eindrucksvoll[en] Stücken erworben
(Familienbild Sablet u. ein Bartolom[äus]nachtbild eines damals Emigrierten). Dann
gingen wir in eine Privats[amm]l[un]g (Cérenville) wo wir aber nicht erwartet u. da-
rum im Pijama empfangen wurden (weißbärt[iger] Herr, Pariser Junggesellenmilieu,
sehr liebenswürdig). Wir fanden ein paar sehr gute Z[eichnung]en (Tiepolo u. andre
Venez[ianer] 18., merkten 2 Blatt zum Photogr[aphieren] u. Aufnehmen für mor-
gen vor, wo er dann nicht mehr im Pijama sein wird. Nach Tisch um 2 bei Strölin.
Eine einzigartige S[amm]l[un]g, nichts wie Höhepunkte. Von Dingen, die uns nichts
angehen : hl. Christoph[orus] (von hinten) u. Einsiedler, daneben Architekt, Mitte
des 14.! (böhmisch ?). Eine Aposteltrennung (Mitte 15.) sehr groß, Nachfolg[e] Witz.
Die hl. Agnes od. Marg[arethe], die Winkler als Dürer publiz[ierte], ein Riesenblatt
Maria mit Kind von Tura (das Bild im Mus[eum] Correr) dahinter Felslandsch[aft] ;
eine sehr große schwarze, leicht (verschwindend) weiß gehöhte Kreidezeichn[ung]
Halbfigur eines langhaar[igen] Knaben mit hinaufgebund[enem] Hut / wie Remb-
randts Titus so lebendig u. ausdrucksvoll) um 1510 (ein Sforza Kind ?). Eine Pietà
von Rubens, viele Tiepolos herrliche Franzosen d. 19. u. Menzels. Wir haben vier
Stunden geschaut, geschrieben, photogr[aphiert], bis wir fast umfielen vor Müdigkeit
nach so viel Konzentration u. Erregung. Dann schnell hinunter zum See, noch ein
Stündchen in d. untergehenden Sonne. Es war sehr sehr schön
– aber wir doch noch
zu erregt, um es ganz restlos aufnehmen zu können. Eigentlich hätten wir jetzt nach
d. Nachtmahl noch zu Frau Reber gehen sollen, lassen es aber sein, da wir viel lieber
nach so viel Genuss
– u. Arbeit schlafen gehen.15
26. [April]
Anderls Geburtstag. Er lebe zuhöchst ! Ein ruhiger Tag, schon sehr notwendig, ich
hab nach d. Anstrengung gestern ein Schlafmittel nehmen müssen. Wir haben in d.
Früh bei M. Cérenville photogr[aphiert] (2) u. noch ein paar andre Blätter, die uns
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien