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Tagebuch 1937/1
steigt bei uns ein. Alle anderen Abteile sind schon voll. Wir haben im Museum in
Lyon 3 Photos gemacht ; die Z[eichnung]en, die gerahmt ganz in der Höhe hingen,
wurden mit Leitern heruntergeholt, Staub von 50 Jahren (zuverlässige Auskunft des
Aufsehers) lag auf d. Rahmen. Ich bin viel auf Leitern geklettert u. mag das gar nicht.
Von Bildern, die uns angehen, war kaum etwas da (Maria in Glorie, Tintor[etto]), ein
Porträt des weisen Friedr[ich] von 1523 mit d. Inschrifttafel, genau nach d. Stich,
glauben wir, aber bisserl größer. Interess[ante] deutsche Bilder. Die Verkündigung,
die Benesch als Cranach publizierte, ganz verkehrte Idee. Eine Variation um das
Thema Eccehomo-Witz v. Tizian, die Franken gemalt haben wird. Eine sehr schöne
Rem br[andt ]zeichn[ung] Wir haben unsere Ankunftszeit an Floch telegr[aphiert],
ein spärliches Nachtmahl eingekauft, obs dazu kommen wird ? Das Wetter ist schon
viel milder, genau die Landsch[aft], die wir französisch nennen. Ich freu mich auf
Paris u. hab ein bißchen Angst vor d. 1. Mai.18
29. [April]
Ich bin gestern – d. erste Tag in Paris ! – gar nicht zum Schreiben gekommen. Also :
Floch hat uns treu wie immer an d. Bahn abgeholt u. ins Hôtel gebracht. Nachher
noch ums Eck bei einer „petite blonde“ oder bok zusammen. Überwältigend (auch
wie immer). Mit der Zeit bekommen wir eine Vorstell[ung] von Paris, die von sei-
ner Person einfach eingeprägt ist. Jetzt alles unter d. Zeichen „Künstlerbund“, dessen
Präsident er ist u. der 13 Mitglieder zählt, von denen er nur 11 aufzählen konnte,
von denen eines die Mme Gutmann ist. Als Gegenüber vom K[ün]stlerbund die
Österr[eichische] Ausstell[ung], die morgen eröffnet wird u. zu der etwa ein Dutzend
Leute aus Wien hergekommen sind, um zuzuschauen wie Mop[p] sie hängt. Eine
echt österr[eichische] Angelegenheit : Stix hat zu schweben, Haberditzl das (moderne)
Material zu sammeln. Was geschieht ? Das Belvedere sammelt bedächtig, Stix nimmt
autoritativ Sachen dazu – u. Mop[p] macht die letzte Auswahl. Im Hôtel ein Brief
vom Anderl u. anderes mehr gleichgültiges.19
Am nächsten Morgen gingen wir zuerst in d. Cabinet des Estampes, wo aber al-
les zu war, da sie provisor[isch] jetzt im ehemal[igen] Rothschildpalais untergebracht
sind. Dort trafen wir Kurz mit seinem Guercinomanen Engländer, suchten d. Di-
rektor auf u. nahmen die Tizianbände (7 Stück) durch, fanden alles, was wir suchten,
hatten großen Genuß (Der Hieron[ymus] Holzschnitt von 1515 sehr große Erfin-
dung, aber nicht Tizian (eher Correggio)). Die Zeichn[ung] „Tizian“, die wir in Lyon
photogr[aphiert] haben, jetzt richtig mit d. Holzsch[nitt] (D ↑ C) in 27/III in Zu-
sammenhang, geht also auf eine wirklich alte Z[eichnung] zurück u. a.
m.
–20
Zumittag haben wir in einer warmen Cremerie gegessen u. sind dann schon sehr
erschöpft ins Cab[inet] d. Dessins in d. Louvre hinauf. Der alte Diener ist krank,
der Unterbeamte macht sehr laut u. geärgert auch für ihn d. Dienst, die Leute kom-
men stehen telefonieren u. gehen – es ist noch immer das alte Caféhaus. Wir haben
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien