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Tagebuch 1937/1
d. Span[ischen] Krieg in d. Rue Laffitte. Grauenvolle Kriegs- und Elendberichte. Ein
armes Volk muss mit Pinkerln* in d. Händen, Weiber u. Kinder, auswandern, damit
d. ital[ienischen] u. deutschen Generalstäbe Platz für ihre Manoever bekommen
…33
Mittag mit Floch, der die bei Ausstellungen, von Mop[p] arrangiert, üblichen
Kontroversen schilderte, wie sie sich diesmal nur ausnahmsweise erst nach der Er-
öffnung abgespielt haben. Am Montag früh hat Thöny mit Floch u. Tischler, diesmal
zugunsten d. lebenden Merkel u. toten Faistauer, umgehängt. Bei dieser Gelegenheit
ist Lilly Steiners Selbstportr[ät] auch an eine weniger sichtbare Stelle gerückt, wor-
auf die Künstlerin prompt aus d. K[ün]stlerbund ausgeschieden ist. Diese u. andere
Geschichten
…34
Am Nachmittag noch in einem Boulevard-Café im Freien auf Strohstühlen ge-
sessen – zum ersten mal ! –, dann in d. Académie Ranson, wo Edel Bildhauerei lernt.
Hinten Garten ebenerdig, Malerklasse, Bildhauerklasse, Gipsgießraum, Ausstellungs-
raum. Eine Schweizer Dame – mütterlich fraulich – leitet, da sie Geld hat, gibt es
wohl mehrere, die wie Edel nur einen Bruchteil zahlen. Schöne Modelle, kollegialer
Ton. Als Concierge das ehemalige Modell von Degas (für die Büglerin, die den Mund
offen hat) ; ich hab so eine Freude darüber gehabt, daß ich unbedingt Handschütteln
musste (am liebsten hätte ich sie des historischen Augenblicks halber umarmt).35
Dann mit Edel in seine Atelierbaracke. Er zog d. Floch einen Span aus dem
(schon eiternden) Finger, zeigte uns die Figur u. d. Büsten, die er zuhaus arbeitet.
Hans ging dann noch einmal mit Floch in d. österr[eichische] Ausstell[ung], wo am
Tag vorher von Floch, Thöny u. Tischler, zugunsten Merkels u. Faistauers etc. (s. o.)
Umgehängtes wieder z[um] T[eil] von Mop[p] verändert worden war. Ich blieb mit
Edel allein, er kochte Tee u. ich gab ihm das Geld, das Hans ihm zugedacht hat (200
fr[ancs]) u. versprach d. Rest, den Floch uns noch schuldig ist (120). Kaum stieg in
mir d. trostlos verlassene Stimmung des bitterarmen Ateliers auf, die ich vor so u. so
viel Jahren in einem unsterblichen Gedicht verewigt hatte, da kam eine sehr reizende
amerikano-französische Kollegin Edels und wirkte sehr beruhigend. Sie lernt bei ihm
deutsch u. er
– anscheinend
– bei ihr wiederum die Lust zu Leben
…
Um ½ 6 durchs Luxembourg ins Hôtel, mit Hans per Auto an d. Bahn u. nach
Amiens. Ich lese in der Bahn immer noch d. Anthony Adverse u. er wird immer
unnötiger. Mit 2 Aspirin ins Bett, denn mein linkes erstes Zeigefingerglied ist rheu-
matisch.
–
Hier haben wir die Kathedrale besucht ; ich hab dabei gemerkt, wie wenig Hans
u. wie viel ich von diesen Dingen, die man doch alle einmal gewusst hat, vergessen
habe. Das Museum ist sehr sehr groß u. vollkom[men] ungeordnet. Wir haben ei-
nen illustr[ierten] Katalog gekauft, da uns einiges interessierte – nichts aber anging.
Ein merkwürdiges Bild von Alvise Vivarini von 1500 in schlechtem Zustand, aber
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien