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Tagebuch 1937/1
arbeitet u. sind nicht fertig geworden. Das Kabinett ist wundervoll eingerichtet, wir
waren seine einzigen Gäste u. wurden vormittags mit Kaffee, nachmittags mit Tee
von den Beamten gelabt. Was hat dieser Koenigs innerhalb ganz weniger Jahre für
eine köstliche Sammlung zusammengebracht. Das Museum selbst lassen wir uns für
den Donnerstag, da wollen wir wiederkommen. Wir fuhren dann zur Bahn u. mit
unserem ganzen großen u. zahlreichen Gepäck nach Haarlem mit einem Zug, mit
dem wir eigentlich in Dord’[recht] noch einmal sollten „overstappen“, worauf wir ver-
zichteten, trotzdem wir hast-du’s-nicht-gesehen Bummelzug wurden u. um ¼ Stunde
später in Haarlem einlangten. Immer noch ganz rechtzeitig, da d. Burgs gar nicht
zuhause waren, sondern uns u. Herminchen am Bahnhof um ½ 8 (da hatten sie uns
erwartet) abholen gefahren waren. So richteten wir uns ein, alles ist sehr freundlich
(u. wäre es noch mehr, wenns Wetter danach wäre) u. herzig u. klein u. wenig Platz u.
doch gemütlich. Und abends ein Bad ! (Heut früh Fixleins Brief, der über B[urgl] ein
wenig doch aufklärte. Nicht erfreulich, weiß Gott, aber immerhin noch Gerichtsver-
fahren, also Advokat !) Mit d. Wagen nach A’dam geführt worden, haben wir zuerst
im Prentenkab[inett] keine guten Z[eichnung]en gefunden, aber doch viel aufregende
Bestätigung betreffend d. Rötelzeichn[ung] in Salzburg zum (u. nicht nach dem)
Vendraminfresko. Mit de Vries alles Wichtige besprochen u. ertelephoniert. Ein
Gang durchs Museum ohne viel Anteilnahme. Sogar d. italienischen Meister genauer
betrachtet, so ganz unerfreulich (Savoldo-, Tintoretto-porträts). Interessant immer-
hin die beiden „Jahreszeiten“ Tintorettos von Ofenheim (Jaispitz ?).
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Pfingstmontag, 17. [Mai]
Vorgestern Nachmittag – mit Taxi trotz 2 Minuten Entfernung !, so hats gegossen –
zu Dr. Beets, der uns eine Reihe ganz interessanter Zeichnungen zeigte, auch Photos
schenkte u. ein Bild (erworben aus S[amm]l[un]g Hamilton), das V[an] Marle im
Internat[ional] Studio 1930 als Tizian veröff[entlicht] hatte, das aber wie jenes Bild
bei Johnson, Philad[elphia], ein „umgekehrter Fluteur“ war. Der Pfingstsonntag war
ein wenig „opklaart“ u. wir benützten ihn zu einem Tagesausflug per Auto nach Den
Helder, dem nördlichsten Zipfel jenes Westteils Hollands, in dem wir stecken. Erst
durch Parks mit Siedlungen, dann über eine Fähre u. endlose Deiche entlang, Al-
leen, Einsamkeit, Windmühlen, Segeln, klein u. weiß, die über Wiesen aufstachen, als
würden weiße Schmetterlinge auf Blüten sitzen. Gelegentlich durch einen Badeort,
durch ein Städtchen. Den Helder ist der alte Kriegshafen, hat noch sichtliche Schiffs-
u. Befestigungsreste auch Militär, pfingstlich mit Damen spazierend. Wir sind dann
auf d. Insel Wieringen hinüber, wo d. Kronprinz von Deutschl[and] nach Kriegsende
2 Jahre interniert war. Er hat im Pfarrhaus gewohnt. Das ist schon eine schlimme
Internierung. Etwas anderes ist so ein Wagenausflug am Festtag nachmittag mit
Schleusenbesichtigung. Mit ungeheuren Schwierigkeiten auf einem verschlammten
Seitenweg hat Frau Margret d. Wagen dirigiert. Auf d. einsamen Wiese haben wir
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien