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Tagebuch 1937/2
besonders liebenswürdig, widmete sich unermüdlich wie ein Aufseher schuftend,
so daß [wir] auch noch das Trinkgeld ersparte[n]. Am Rückweg stießen wir auf
Dr. Bier, der uns, d. h. Burg ins Museum nachgegangen war. Zuhause gab ich Un-
terricht im Yoghurtmachen, hoffentlich erfolgreich, denn die Apparatur war unzu-
länglich
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23. [Mai]
Der gestrige Tag war unser letzter in R’dam bei d. Z[eichnung]en, wir haben das
Material noch einmal durchgearbeitet – es sind z[irka] 130/140 Blätter, ich glaube
mehr, als d. Albertina für uns hat. Direkt[or] Hannema musste nach A’dam, doch lud
er uns ein, im Garten d. Museums „Kaffee“ zu trinken, wofür uns der Diener noch
„Brötchen“ brachte. Wir fanden diesmal noch Zeit, das Museum selbst anzuschauen,
dessen Bilderschatz – u. entsprechend dann auch der Eindruck – dem früheren ge-
genüber etwas zerzogen ist. Vieles in d. Anlage erschien uns grob, vor allem d. Ge-
schlossenheit der Kabinette, die durch Türen in versteckten Schrägen verbunden sind.
Weniger gut d. Helligkeit (auch d. Wand) im italienischen Saal. Das scharfe Licht d.
Glasdaches geschickt durch eine Art Glasrouleau darunter gemildert. Die S[amm]-
l[un]g Koenigs’scher Bilder
– vor allem der Rubens Skizzen
– ist ausgestellt, die Perle
d. Rubensskizzen „Achillesgeschichte“ (Stiftung v. Beuningen) wirkt geschlossener.
Eine dem Mus[eum] gehörige Skizze zu einer Art Verklärung oder Paradies wirkt
wie eine Fortsetzung venezianischer („Do[menico] Tintor[etto]“) Kunst, wir haben
absolut kein Rubensgefühl dabei gehabt ; wie wir aber abends durch Dr. Hirschmann
hörten, wäre dieses Bild eines jener, die Dr. Burchard als Jugendœuvre Rubens’ „her-
ausgeschält“ hätte, die ganze Gruppe vormals f. Skizzen Van Dycks gehalten, wären
jetzt Frühwerke d. Rubens. Daher d. Manierismus. „Noch“ – und nicht „schon“. Wir
müssen dieser Sache nachgehen. Mit Dr. Hirschmann haben wir den letzten Abend
bei Burgs verbracht. Ich habe ihn vor 17 Jahren bei Hofst[ede] de Groot kennen ge-
lernt, es war damals seine letzte Zeit dort, bevor er sich selbständig (als Kunsthänd-
ler) machte. Er ist Schweizer u. hat sein als solches schon etwas fragliche Deutsch
so ziemlich ans Holländische verloren. (Burg erzählte nachher, daß er von 11–4 nur
seinen Laden (in A’dam) führe, dann in sein Haus in den Haag zurück führe, wo er
seine Kaktäenzucht lebe. Er hätte auch 2 richtige Krokodile dort, eines 40 cm lang,
immerhin ein Krokodil.)
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Nun sitze ich im Zug R’dam–Vlissingen, berechne schon d. Zeitpunkt, an dem das
[…] genommen werden muss
…12
Wir sind mit unserer holländ[ischen] Woche sehr zufrieden (eigentlich wars eine
Dekade, aber durch d. beiden Pfingsttage nur eine Arbeitswoche). Viel Material u.
lauter ungelöste Fragen
…
Und jetzt – es ist gegen 8 schon – sitz ich bereits in […] im Zug u. warte auf d.
Abfahrt. Es war das feinste crossing, das man sich denken kann. Als hätten wir un-
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien