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Tagebuch 1937/2
tragung. Von wo ? Keine Oper auf deutschem Bo-
den würde um diese Zeit (zentraleuropäisch + keine
Sommerzeit) schon angefangen haben ? ! Ein reicher
Mann hier in England in seinem Landhaus hält für
broadcast von der ganzen Welt und einem Publikum
von 200 Personen (5 Pf d. Billet inkl. Fahrtspesen u.
Dinner) Opernsaison. Es ist eine wirklich vornehme
Art sein Geld loszuwerden. Abends sind wir zuhaus-
geblieben, haben „aufgearbeitet“. Heute verkehren d.
Bu[s]se wieder, da
– nach c. 3 Wochen
– eine Basis für
Verhandlungen endlich gefunden wurde.
–18
29. [Mai]
Gestern früh brachte Hans Platten dem Kris, der sie
nach Wien mitnehmen wollte (5 Dutz[end]) Kris
ist ganz selig, aus d. Dorf Wien für einige Zeit ent-
kommen zu sein. (Er hielt hier einen Vortrag über
Kari k[atur] im C[ourtauld]-Institut u. einen andern über etwas Psychoan[alyse] an
entsprech[ender] Stelle.) Im Printroom haben wir an den verteufelten Farbskiz-
zen „Tintor[etto]s“ gearbeitet und nach d. lunch (in einem andern Dairy-Haus will
nicht Stammgast sein) den Palmaband weiter, der gar kein Rätsel aufgibt plain old
Palma only u. darum so fad ist. Um ½ 5 kamen wir zu Colnaghi, aber Byam Shaw
war noch nicht von d. Auktion zurück, wie er gemeint hatte. Ein Herr sprach uns
deutsch an u. entpuppte sich als Parker. Oxfordisch schlampert, aufgeschwemmter
u. verstaubter (äußerlich) als früher, sodaß wir ihn nicht sofort erkannten. Er gab
uns Ratschläge u. wird uns sicher d. Aufenthalt in Oxford leicht machen. Dann
kam Byam Shaw, der uns einige Auskünfte gab, diesmal aber nur innerhalb von
Photos, es war zu spät seine Originale zu betrachten. Wir gingen Bondstr[eet] wei-
ter. „Hier ist d. Buchhändler Goldschmidt“, sagte Hans, „der früher bei Gilhofer
war.“ Wir läuteten an u. gingen d. Halbstock hinauf. Er freute sich über Wiener
Bekannte, zeigte uns einen venezianischen Holzschnitt, zu dem wir ihm etwas sa-
gen konnten u. hoffentl[ich] noch mehr sagen werden u. gab uns im Handumdrehen
Auskunft über d. Clairobscur Aretin u. d. Sirene. Das hat uns viel Sucherei erspart.
Weiter dann. „Hier ist Frank Sabin.“ Wir gingen in d. Ausstell[ungs]raum u. sa-
hen d. „Freund Tizians“ an, der noch immer nicht verkauft ist ! Seine Bilder alle
sind vermalt u. verwischt, es ist ganz unwahrscheinlich. Am unwahrscheinlichsten
der Mann selbst, der auf uns zustieß, – ein Beau, wie ein Greco in einem Law-
rencekostüm, ganz so leicht unter d. Aufmachung wie sonst sitzt diesmal der Pol-
nische nicht ; die Aufmachung mit d. hohen weißen Piquékravatte u. d. hellgelben
nonchalant-verschmuddelten Weste ist zu gut. Er bat uns für ein nächstesmal, so-
Abb. 19 : Campbell Dodgson, 1939.
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien