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Tagebuch 1937/2
durchgeht. Dazu waren wir ärgerlich, denn wir waren auf Kälte u. bösen Regen an-
gezogen (laut Prognose u. Morgen-Eindruck) u. es ist herrlich blau und sommern
geworden. Ganz langsam, schlängelten wir uns zur Teezeit durch d. samstäglich aus-
geleerten Gassen in eine reizende Wohngegend. Kensington Gate Street, wo Borenius
wohnt. Er ist noch kenntlich (in d. Sprache) als Schwede, ein großer Mann mit einem
Dorfpfarrergesicht u. einer Perücke, dessen reine Kragen ein andrer trägt. Der Tee
u. die Tochter waren sympathischer. Er war übrigens sehr liebenswürdig, versprach
vieles, von dem er einiges hoffentlich halten wird ; zeigt uns seine Z[eichnun g] en, von
denen nur die von Veronese gut war, die anderen (was vor allem die uns angehenden
belangt) unter d. Kanone. Auch seine Bilder, darunter ein Votivbildchen, das er Roma-
nino nennt, das aber auch namenlos etwas unbeschreiblich intimes u. herziges bleibt
(Mann, Frau u. Tochter (beide in weiß) vor einer sitzenden Madonna mit großkopfer-
tem Kind hingegeben kniend, Landschaft, ganz kleines Breitbildl ; ferner ein als Pietro
Vecchio altbeglaubigtes großes Bild, zu dem (oder nach dem)
– wenn mich nicht alles
täuscht
– eine „Tizian zugeschr[iebene]“ Z[eichnung] in Cheltenham ist. Er zeigte uns
auch eine mittelalterliche Steinskulptur aus dem Jagdschloss der Plantagenets bei Sa-
lisbury, dessen Ausgrabung er seit einigen Jahren leitet. Das war alles sehr interessant,
sodaß auch dieser Tag doch noch seine Sensation geliefert bekommen hat. Nach dem
dinner haben wir noch gearbeitet u. gegen ½ 10 (es war wirklich noch ganz hell) sind
wir noch spazieren gegangen. Meistens erwartet uns dann noch Post ; diesmal von
Dodgson eine Karte, daß er noch keine Antwort von Donnington Priory bekommen
hat, die Leute also wohl verreist sind. Das ist das 2., was sich spießte ; das erste : die
Z[eichnung]en vom Earl of Harewood.
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7. [Juni]
Den Sonntag gestern hab ich so angestrengt verbracht, daß ich nicht zum Schreiben
kam. Er stand zumeist unter d. Zeichen Ivo, die um 11h aus Tolmers ankam, sehr nett
u. patent aussah, aber so voll Schulgeschichten u. noch dazu englischen Mädchen-
schulgeschichten voll war, daß wir uns total umstellen mußten. Das war bißchen an-
strengend. Wir haben bei Sir Eric Maclagan geluncht, die nette freundliche Frau war
da u. der intelligente Sohn Michael, d. Historiker, der jetzt ein Stipendium von Ox-
ford hat u. d. Lebensgeschichte eines seiner Groß-groß-Onkel dafür erarbeitet, weil
es eine Arbeit d. 19. (zu seinem Kummer) sein muß. Wir hatten Möweneier u. andere
Seltsamkeiten, aber es war schmerzlos u. angenehm. Den Nachmittag in d. Nat[ional]
Gall[ery], weil Ivo noch nicht dort war ; wir trafen dort Byam Shaw (Eva Benesch
würde sagen : „Er war immer ein Streber“) und ich fand das Legote-Bild, das mit
seiner (ehemals Weigel-)Z[eichnung] zusammen hängt ; es ist eine Anbetung, die hier
„Velasquez zugeschrieben“ heißt. Als Ivo genug hatte, gingen wir Eiscreme-essen u.
Hans brachte sie zur Bahn. Ich schaute mir noch d. neue Universität an, die etwa zur
Hälfte fertig ist (nur von außen) u. ging dann an diesen deftigen Residential Houses
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien