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Tagebuch 1937/2
da Calcar bei Tizian arbeitete – ist es vielleicht doch von Calcar ? Man ist bei einem
Blondbart so leicht versucht auf Calcar zu tippen.
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Dann gingen, d. h. fuhren wir heim u. waren vor d. Gewitter, das d. ganzen Tag
über uns hing, so abgespannt, daß wir uns nach d. Nachtmahl erst ein halbes Stünd-
chen ausruhten, bevor wir zu arbeiten begannen. Und heute wars wieder so heiß, als
hätte es gestern nicht geregnet – wir aber waren danach angezogen ! Hans ist allein
nach Cambridge gefahren, ich bin ein wenig später fort u. hab (als erster) in Witts
Library angeläutet. Erst hab ich die
Photogr[aphie] d. Kieslinger Z[eichnung]
„erledigt“ (weiß Gott !) – die er für einen
Entwurf d. Rubens für d. Bauerntanz
hielt, von der ich mir aber ein Photo
erbat, da sie mich an d. Tanzenden hin-
ten in der Venus d. Metropolitanbildes
ein wenig erinnerte. Nun, ich hatte ein
richtiges Gefühl : sie sind dürftig nach
einer in einem Stich Corneilles erhalte-
nen Campagnolazeichn[ung] herausko-
piert, im Sinn d. Stichs, die Bäume nur
weggelassen, was ihnen das Impromptu
gab. Dann Paris Bordone, Giorgione-
zeichnungen u. Bilder, Palma Giovane.
(Ich glaube, ich bin einem Tizianbild auf
der Spur, das verschollen war ; bevor ichs
niederschreibe will ichs aber erst d. Hans
erzählen.)45
Um eins bin ich dann mit Frau Tar-
nay lunchen gegangen. Das ist immer herzzerbrechend mit dieser verschütteten Exis-
tenz zusammenzukommen. Von 2 bis 4 hab ich dann d. Originale Sir Roberts ange-
sehen u. bin eigentlich im großen ganzen durchgekommen. Tintorettozeichn[ungen]
sind gut, Palma G[iovane] lauter späte, so charakteristisch (Gott seis geklagt) ; in-
teressant vor allem kleinere Meister wie Damini, Corona etc. Und dann war’s sehr
heiß zum Nachhausefahren u. ich hab den Schirm nicht im Bus gelassen, weil der
Busmann es zu verhindern wußte. Und dann hab ich mir um 2£ und 2¢ Trinkgeld d.
Haare waschen lassen, was nicht einmal sehr lästig war, obgleich ungewohnt „Kopf
nach vorn geneigt“. Und dann bin ich nachhaus, wo ein Brief von Kurtl u. Trude war-
tete. Und dann
– und dann bin ich jetzt fertig u. schon sehr ungeduldig, daß d. Hans
kommt. (Nachtrag : bei Witts sprach mich Delbanco aus Hamburg an ; er ist schon
seit 7 Jahren hier. Natürlich auch Kunsthändler.)
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Abb. 25 : Kurt Winkler – „Ein mutiger Bursch“, 1937.
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien