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Tagebuch 1937/2
uns erwartet hatte, ob wir also zur vorgeschlagenen
Stunde kommen wollten. Wir hatten diesen Passus
übersehen u. fuhren recht ängstlich u. einen verlore-
nen Vormittag voraussehend nach Richmond. Dann
aber war alles gut. Das Haus White Lodge inmit-
ten, aber wirklich ganz allein inmitten des unendlich
großen Parks nur von einem Blumengarten von ihm
abgetrennt ist eine große Überraschung. Wir fuhren
mit dem Taxi vom Eingang d. Parks etwa 2 Meilen
hin. Der Lord selbst sehr liebenswürdig u. unter-
richtet, die Bilder z[um] T[eil] ausgezeichnet, z[um]
T[eil] fragwürdig, immer aber interessant. Ist Lord
Lee Jude ? „Friedländer verzeichnet 38 Bilder von
Luk[as] v. Leyden ; ich habe drei davon. Ist das nicht
ein schöner Prozentsatz ?“ Klingt das nicht danach ?
Oder macht Sammler sein an sich nicht schon diesen
Eindruck ? Viele Freunde in Klischee u. Photo hab
ich wiedergefunden. Z.
B. die gewisse von Hadeln als
Tizian publiz[ierte] Madonna mit Joh[annes] Kna-
ben u. Ritter, die ich immer für einen Lotto gehalten
hatte, hängt hier mit d. Täfelchen Lotto. Die Petr[us]
Marter von Bellini, d. von Miethke stammt. Den Tod
Mariae, Grisaille von Breughel. Eine Taufe Christi ganz klein von Veronese, Pendant
zur Madrider Mosesfindung. Sehr merkwürdig ein Supraport Moses zieht d. Schuh
aus vor d. brennenden Dornbusch, das wohl auf eine Komposition Giorgiones zu-
rückgeht, aber sicher nicht von ihm selbst gemalt ist, wenn es Richter auch in seinem
neuen Buch einwandfrei anerkennt (ohne Abbildung)
…49
Ein wundervoller Weg zufuß durch d. Park, ein lunch darin auf zwei Streckstühlen,
ohne daß d. Twopennies–Einheber kam und der Besuch der Cookschen S[amm]-
l[un]g waren der gute Abschluß d. Ausflugs. Von Cooks weiß ich kaum mehr als
Rembrandts Titus, u. zwei sehr puzzlinge dritte-Meister (Triumph d. Keuschheit
u. d. Ruhmes, 4 Friese ohne Ende, sie heißen versuchsweise Schiavone ; eine Taufe
Christi, die Greco heißt u. ganz gut von unserem Kritzelmeister sein könnte (leider
nicht abgeb[ildet]) ; und dann ein herrliches Lavatory mit wirkl[ich] heißem Wasser,
sehr auffrischend. Daß ich nicht vergesse : ein Schläfchen wieder auf 2 Streckstühlen,
diesmal gezahlten, mit d. Blick auf d. Themse-Insel.50
Heimfahrt. Georgs schwarzgeränderter Brief : Selbstmord der Mutter Ehrlich.
Nach d. Dinner Zusammenkunft mit d. jungen Hess, der einen verzweifelten Ein-
druck auf uns machte. Wenn ich denke, daß jene Schuhe, die ich aus seinem Eltern-
hause als Geschenk mitnahm, noch famos intakt sind, während sich bei ihm alles
Abb. 27 : Arthur Hamilton Lee, 1st Viscount Lee of
Fareham, 1917.
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien