Seite - 95 - in Erica Tietze-Conrat - Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
Bild der Seite - 95 -
Text der Seite - 95 -
95
Tagebuch 1937/2
sagte ihm, daß uns ein langgehegter Wunsch, dessen
Erfüllung wir oft angestrebt, aber nie erreicht haben,
damit erfüllt wurde. Ich verschwieg, daß Maclagan
uns lang vorher es ermöglicht hatte
…53
Wir verließen ihn u. taxiten zu Bottenwieser-
Frank, der die versprochenen Tintorettozeichnun-
gen vorbereitet hatte (es sind gewiß die selben, die
Scharf zeigen wollte, aber immer „beim Montieren“
hatte) u. dazu noch einen schönen sign[ierten] Lean-
dro Bassano zeigte (Laurentiusmarter, sehr v. Tizian
inspiriert). In dem kleinen Laden, der eigentlich nur
d. Agentur der Thyssenschen S[amm]l[un]g ist, tra-
fen wir alles, was es an beflissener Jugend hier gibt.
Den jungen Gronau, den Dr Gerson aus d. Haag mit
Frau, schließlich noch den viel berühmten Norris.
Sehr selbstverliebt, sich auf seinen Charme verlassend,
oxfordisch schnoddrig u. high brow. Wir sprachen
kaum miteinander und doch grüßte er Hans beim
Weggehen mit einem Händedruck „to the man who
hates so much as I do the Verona portrait“. Kann man
versnobter sein ?
–54
Um ein mäßig langes Eck ins Mayfair Hôtel zum
hinkerten Silbervogel. Natürlich saß er in der Lounge
mit einem ungarischen Filmstar (Corda), der, wie er sich nachher bei uns entschul-
digte, es immerfort hören wollte, wie schön er sei und die er am liebsten daran erin-
nern wollte, daß er sie genau so schön als Helena vor 14 Jahren schon gesehen hätte.
Er empfing uns in seinem Zimmer, ließ Tee kommen (sehr erwünscht), scheint aber
ohne Frau zu sein – doch nicht geschieden ? das hätte Dolly schon mitgeteilt. Wir
erzählten ihm alles, was wir auf der Pfanne hatten. Er bat uns noch zu Christie zu
gehen, wo ein !Dürerportr[ät] ! zu sehen wäre. Wir hängten ihm daraufhin ein Paket
mit Plattenschachteln an und fuhren heim, um uns ein Weilchen auszuruhen. Aber
daraus wurde nicht viel, da Lugts Photos, eine herrliche Kollektion, angekommen
waren ! Dann schnell umgezogen und (5 minutes late) zu Oppé, wo wir ein gemütli-
ches Dinner bekamen u. dann wieder Blätter aus seiner Sammlung u. welche, die er
zum Kauf angeboten bekommen hatte, besahen. Er ist nämlich seit ein paar Tagen
beauftragt, für ein Dominionmuseum zu kaufen. Sie haben nicht viel Geld u. er will
ihnen nur möglichst Gesichertes verschaffen. Dabei hat man eigentlich doch das Ge-
fühl, die schlechten ins Töpfchen, die guten ins Kröpfchen, wobei über Töpfchen u.
Kröpfchen gar kein Zweifel besteht. Oppé erzählte uns, daß Russell eine kurze Zeit
lang, bevor er Herald wurde, einen Shop gehabt hätte ; artdealer, ganz deklariert. Und
Abb. 28 : „Am nettesten war aber Read selbst.“ –
Herbert Read, Kunstwissenschaftler, Dichter,
Anarchist, 1940.
zurück zum
Buch Erica Tietze-Conrat - Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)"
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien