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Tagebuch 1937/2
18. [Juni]
Mein Hansl, wenn du aus Cheltenham zurückkommst, werde ich wohl gerade bei
Wares sein. Wirst du das Tagebuch lesen u. d. Brief hin an dich finden ? Ich hab von
heute wenig zu berichten. Ich habe, trotzdem ich allein schlief, die Gartentüre offen
gelassen u. richtig Besuch bekommen. Eine Katze war da
– oder war es unser Kater ?
Sprang auf mein Bett u. weckte mich. Ich schmiß ihn dezidiert hinunter. Als ich in
d. früh aufwachte, glaubte ich schon, daß ich alles geträumt hätte. Leider aber fand
ich d. Pfotenspuren auf dem Pijama, das ich dir gestern abends gewaschen habe. Post
kam nicht viel, ich leg es unter das Büchel. Das Wetter hat wieder so viel herumge-
wechselt, daß ich mich dreimal umziehen mußte, bis ich wegkam. Heut hab ich’s
gemerkt, wie eingelebt ich mich schon fühle : ich hab einer Werkelfrau einen ha’penny
gegeben !
Was ich bei Witts atemlos gearbeitet habe, das hab ich alles aufgeschrieben ; ich
sprach nur Scharf u. Gronau, die mir eine Photogr[aphie] zeigten, die nach einem
1672(?) datierten Bild war (Venus mit 2 Damen in d. Schmiede d. Vulkan) u. wir
alle nicht lokalisieren konnten. Das befremdlich zwiespältige kam wohl daher, daß d.
Venusgruppe (wie ich ihnen sagen konnte) nach Bloemaerts Stichen gearbeitet war.
Mittag ließ ich meinen Sack dort u. zog mit meinem Lunchpackerl in d. Hyde Park
–
lief mich aus und lief mich dann um 4h noch einmal aus, bis zu Alberts Memorial,
denn ich mußte meine Augen ausruhen, die sehr hergenommen waren. Zuhause fand
ich dann den Brief von d. Kindern. Sie sind mir alle sehr lebendig geworden.
– sogar
Anderl, von dem nur ein Wort drinnen steht, daß er lange zu tun hatte, die Therese
zu beruhigen. Wie charakteristisch, daß diese Aufgabe ganz selbstverständlich ihm
zufiel. Sogar Burgel, die wenn auch nicht da, doch überall durchscheint. Mein stolzes
tapferes Mädel.
– Kommst du mich holen ?
–59
20. Juni, mein Geburtstag.
Seine wesentliche Feier gestern abends Kurts Karte, die Burgls Enthaftung in Aus-
sicht stellte. Wir haben Grund zu hoffen
– er hätte es nicht geschrieben, wenn’s nicht
schon Körper angenommen hätte. Wir hatten die ganze Zeit schon das Vorgefühl
einer günstigen Wendung ; wir sprachen darüber, wieso wir mit solcher Heiterkeit
in der letzten Zeit an B[urgl] denken konnten, wohl weil sie jetzt in einem ordent-
lichen Gericht, oder weil sie Handarbeiten darf, eine Stunde spazierengehen ? Hans
sagte mir zu diesen Überlegungen, daß er auch seitdem sie bei Gericht ist, ganz ruhig
wäre
…60
Aber ich muß vorgestern abends beginnen. Ich ging zu Pamela, von der ich hörte,
daß die Großmutter (82 Jahre alt) die doch immer so frisch u. lebensfroh war, am
Sonntag plötzl[ich] operiert werden musste, ein Gewächs im Bauch ; sie dürfe noch
nicht besucht werden, man hoffe, daß sie davon käme. Ich legte mein Gesicht in die
gebührlichen Falten, aber sie erzählte dann gleich wie köstlich es gestern in Music
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien