Seite - 102 - in Erica Tietze-Conrat - Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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Tagebuch 1937/2
die vordere war von einer Mauer – wie vom Plattenrand – abgeschnitten. „Dürers
Kuh“, sagten wir beide aus einem Mund ; „aber kein Ochse !“ sagte ich, denn auch
das war zwischen Winkler u. uns kontrovers gesehen worden, der die Vorzeichn[ung]
zum verlorenen Sohn-Ochsen für eine Kuh gehalten hatte. Das aber blieb zwischen
Dodgson u. uns die einzige Anspielung auf Dürer
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Ich setze wieder oben ein : der große Landedelmann, der sich aber mit voller Hin-
gabe für alle Fragen d. internationalen Politik interessiert, viel auf d. Kontinent reist
u. ohne an eine praktische Umsetzung seiner Kenntnisse zu denken, über die Ergeb-
nisse seiner Studien für einen wissenschaftlich interessierten Klub Vorträge hält
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Es war eine sehr schöne Fahrt, aber anstrengend, da Dodgson recht schwerhörig
geworden ist. Wie gerne wären wir diesmal nachhause zurückgekehrt, aber Burgs
hatten uns ins Gennaro eingeladen und so fuhren wir mit Dodgson stadtwärts. Die
Fahrt hatte uns Appetit gemacht u. die italienische Küche war eine Wohltat. Zuhause
aber hab ich ein Schlafmittel genommen, es ist doch das einzige, der Erschöpfung
Herr zu werden. Jetzt komme ich zum heutigen Tag. Der fing blau an u. endete mit
Regen ; wir brachten alles was wir an Büchern entbehren konnten u. auch die (II) bis-
her aufgewachsenen Plattenschachteln zum hinkerten Bruder, der sich des Packens u.
Versendens annehmen will. Bei Sotheby sahen wir dann einen richtigen Suidaschen
Tizian, halt so ein gewisses Männerporträt, das immer wie ein ausgezogener Hand-
schuh ausschaut. Ein Stilleben von Velazquez u. ein „Eli u. Samuel“ von Fabritius
daneben, gleichfalls Ehrenplatz. Ganz versteckt ein Romaninoportr[ät], das über-
schmiert, aber gut schien. Im Printroom haben wir weiter „wiederholt“, mit Popham
auch wegen unserer Reise nach Malvern gesprochen, die wir doch lieber auf unsere
Rückkehr verlegen (Mrs. Rayner-Wood hat uns eingeladen, bei ihr zu übernachten).
Ich habe den „Gran Capitaneo“ Stich durchgepaust, da d. Earl of Yarborough das
Bild nicht identifizieren konnte, das wir bei ihm sehen wollten. Nach dem Lunch
(auf d. Bank am Museumseingang) gingen wir ein Bassanoportr[ät] anschauen, das
Silberman gekauft hat. Es war schon beim Bilderpacker, der als solcher auf seinem
Schild bezeichnet wird. Zwei Klacheln* mit Schürzen aber runden Hüten hielten
uns d. Bilder. Bei Christie im Keller sollten wir dann ein Bild „Schule Giorgiones“
anschauen, das war aber schon zu weit gegangen. Dann verabschiedeten wir uns vom
hinkerten Bruder, der aus diesem Zusammensein die Lebensregel als Gewinn davon
trug, daß immer der Vater
– Jacopo heißt. Bellini, Tintoretto, Bassano.
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Im Victoria u. Albert Museum trafen wir nur Miss Longhurst – Maclagan was
not in –, die uns die Photos von d. Z[eichnun]gen überreichte. Wir versuchten dann
einige Bertoldophotos etc. wegen d. Russellreliefs anzuschauen, es war aber nicht
ergiebig, sie haben sie auch nur nach K[ün]stlern geordnet u. wir wollen mehr ano-
nymes sehen. So schlenderten wir noch durchs Museum und fielen in den Raffael-
* grobschlächtige Männer
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien