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Tagebuch 1937/2
teressante Gallerie (Katalog von Borenius gekauft). Ein Teil d. Z[eichnung]en ist im
Drehständer, das meiste in einem Riesenschubkasten, zu dem uns der Keeper (Hitch-
cock) den Schlüssel gab. Er ist ein faux-Penseur ; weiße Haare kurz u. dicht wie ein
englischer Rasen, tiefst liegende schwarze Augen, sehr freundlich, reserviert – aber
offenbar ganz ununterrichtet. Er hat erst bedauernd auf eine Ordre hingewiesen, die
d. Photographieren untersagt, aber als wir uns abends trennten, es eigentlich doch
schon für morgen gestattet – offenbar aus Scheu, die Eingabe machen zu müssen.
Und gleichfalls als wir weggingen, hat er uns auf Portofolios aufmerksam gemacht,
die ein bisher ganz ungesichtetes Material enthalten, das auch nicht in Bells Katalog
erwähnt ist. Ich bin schon fabelhaft ausgeruht. Daß ich per pedes
– und per so wenig
pedes – zu meiner Arbeitsstätte komme, tut mir sehr wohl. Auch Hansl hat ein übri-
ges an Wohlleben nachgeholt : er hat sich d. Haare schneiden lassen.
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30. [Juni]
Auch heute war es ein gradliniger Tag u. darum wenig zu berichten. Das Wetter fing
gleich dezidiert schlecht an, kalt-schwül, sodaß wir eigentlich in d. Nachmittagsstun-
den recht arbeitsscheu waren. Desto teilnehmender vormittags in Christ Church, wo
wir also doch photogr[aphieren] durften. Wir haben dann die Großformate u. die
Unkatalogisierten durchgearbeitet u. mit d. Dekorationen begonnen. Dort haben wir
ganz besonders faszinierende Blätter gefunden, die z[um] T[eil] noch gar nie bear-
beitet wurden. Da hätte ein Spezialist ein ergiebiges Feld, wir die es nichts angeht,
haben nur gustiert. Nach Tisch (d. h. wir kauften uns was ein, sind vom Frühstück
eigentl[ich] immer f. d. ganzen Tag satt) gingen wir wieder ins Ashmolean, wo wir d.
Blätter ein zweitesmal durchgingen. Über Empfehlung Parkers suchten wir diesmal
den Garten vom Wadham College auf, das ganz nah von dem Wren’schen Theater ge-
legen ist. Wir saßen lang auf einer braunschwarzen Holzbank in besonders gepflegter
Form u. blickten über den köstlichen Rasen auf die graue gotische Kapelle, die an die
Collegegiebeln anschließt. Hinter uns gleich war eine Riesenrotbuche, wir konnten
ihr gerade noch unter die Röcke schauen, es war ein sehr geheimnisvolles Dunkel.
Aber mehr noch blickten wir nicht u. schauten auch nicht, sondern hatten die Au-
gen zu ; da wich auch nach u. nach die Erschöpfung u. wir wurden wieder frisch.
Das merkt man gleich an den Gesprächen, die sich dann um künftige Reisen drehen.
Wenn wir nur gute Nachrichten von zuhause bekämen !80
1. Juli.
(Unser letzter Monat fängt an.) Wir sitzen am Bahnhof in Derby, durch die Spieße-
rei mit Chatsworth auf diese Nebenroute verschlagen, ohne etwas davon zu haben,
statt geradewegs nach Liverpool gelangt zu sein. Wir mussten in Birmingham auf
einen anderen Bahnhof, hier in Derby auf einen anderen Perron. So haben wir diese
beiden Orte mit einem längeren u. einem kürzeren (beim Banane-Einkauf) „Glance“
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien