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Tagebuch 1937/2
aufgenommen, ohne auf mehr neugierig zu werden. Kohle. Eisen. Entsprechende
Luft. Hinauf d. Perron sind Automaten für alles u. mehr ; Marken u. Zündhölzer,
Milchchokolade (1 penny) u. Milch-Ei-Chokolade (2p). Alle Arten drops, für 6
pence ein Irish linen handkerchief u. 1 p. put in the slot kann man Stephensons Mo-
del Rocket sich bewegen sehen. Ich habe alle diese Versprechungen nur platonisch
genossen. Den letzten Tag in Oxford haben wir ausschließlich in Christ Church
gearbeitet ; wir sind mit d. Dingen, die uns interessieren, fertig geworden u. haben
noch sehr amüsante Seitensprünge gemacht. Nett war es mitten in dem Sfumato
der Dekorationszeichnungen des italienischen Secento ein präzis u. handwerklich
nüchtern ausgefärbeltes Blatt d. Pencz zu entdecken ! Wir waren die ersten, die da-
für Verständnis hatten. Ein früherer Besucher, der darauf beim Blättern gestoßen
war, hatte versuchsweise – Pozzo ! dafür vorgeschlagen, sein ursprünglicher Besitzer
einen unbekannten Brescianer Namen darauf geschrieben. Und andres mehr. Bevor
wir abfuhren, suchte Hans noch Parker auf (während ich fourage einkaufte), um sich
zu verabschieden u. den Scheck für Photoauslagen u. O[ld] M[aster] D[rawings] Bei-
träge abzuholen. Für letzteres 1 Pfund für d. ganzen Jahrgang ; diese Art Veröffentli-
chungen sind immer mehr eine rein idealistische Angelegenheit
…81
Wir lesen im Zug (Hans Aldingtons Death of a Hero, ich Forsters Passage to In-
dia), dazwischen schauen wir hinaus in die gedeckte Water Colour Landschaft, die
so keine Ähnlichkeit mit einem Julitag in unseren Breiten hat. Gelegentlich schauen
wir auch die Mitfahrenden an ; hier in d. Provinz sind sie weiß Gott wenig attractive.
Es ist, als würde die Großstadt auch hier alles Ästhetische für sich einsammeln
– we-
nigstens läßt sie nichts davon für d. Eisenbahnen übrig. Aber die Leute sind so abso-
lut stumm, daß Reisen hier auch in den vollen Zügen Erholung ist. Die Polsterung
nicht zu vergessen.
–82
2. [Juli]
Liverpool, Hôtel Imperial
das ganze Haus riecht nach Fisch. Bei uns im 5. Stock etwas weniger penetrant, aber
doch deutlich erkennbar. Kein Wunder, wohin man schaut : Fischmarkt, Fischge-
schäfte en gros, en detail. Das macht aber nichts, wenn es nicht nach Fisch riecht, so
würde es nach anderem riechen. Die ganze Stadt ist mit einer dicken grauschwarzen
Wolke lauen Gestanks verhangen. Hans hat mich gewarnt u. er hat recht : abscheulich.
In unserem Hôtelzimmer sind 3 Stühle u. ein Tisch alle Möblierung zum Sitzen,
Hängen, Legen. Außer dem Haken an der Türe keine Möglichkeit, sich unterzubrin-
gen. Trotzdem waren wir still u. zufrieden, die Betten waren gut, das Bad herrlich so
viel heißes Wasser – das ist d. Hauptsache. Und ist man nicht mit allen Unbequem-
lichkeiten einverstanden, wenn die größere winkt : 10 Stunden Überfahrt auf einem
kleinen Schifferl ! Als wir gleich früh zu Cook kamen, um eine Kabine zu booken,
erfuhren wir, daß alle besetzt wären. So erwartet uns ein Fauteuil in d. Lounge
– hof-
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien