Seite - 113 - in Erica Tietze-Conrat - Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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Tagebuch 1937/2
fentlich ist der noch unbesetzt ! Wir freuen uns aber so auf die unbekannte Insel, daß
uns auch diese Aussicht nicht verstimmt
…
Der Tag hier war ganz interessant ; in der Walker Gallery haben wir die sehr zahl-
reichen 19. Jh. Bilder u. die drei Räume alter mit Muße angesehen ; die Zeichnungen
des Roscoe Bequest waren in einer großen Mappe deponiert, wurden uns aber am
Nachmittag gebracht. Wir nahmen vier Bassanoblätter in verschiedenen Graden der
Echtheit daraus auf, photographierten sie auch, ohne erst zu fragen (es war nur eine
unkompetente Sekretärinnen Dame da, wir hatten Angst, daß sie Umstände machen
könnte). Eine müßige Stunde verbrachten wir auch in der Bibliothek, in die man uns
irrtümlich vom Museum aus gewiesen hatte : man hatte unter drawings
– auch prints
verstanden ! Wir wurden sehr freundlich aufgenommen, mit der Zeit kamen alle Be-
amten bis zum Direktor heran, um uns zu begrüßen. Nachdem d. Irrtum aufgeklärt
war, ließen wir uns d. „Apollo“ geben und blätterten die Bände zwischen 1930 und 34
durch (leider hatten sie keine früheren, gerade am 1928er war uns viel gelegen !). Es
war ganz aufschlußreich, u. a. haben wir an einem Zurbaran Spaß gehabt, einer Ge-
burt Mariae, die eine Dürer-Paraphrase war. Merkwürdig, wie viel Monumentalität
u. Pathos in dieses Marienlebenstakkato hineingeht. Es roch derartig nach einem
Pissoir in der Bibliothek, bez[iehungsweise] nach den Desinfektionsmitteln daselbst,
daß wir es wohl lange nicht aus den Kleidern bringen werden ! Während wir ruhig
unsre Apollobände durchsahen, baute einer d. Beamten auf einem Tisch Stapel um
Stapel auf, trat dann bescheiden zu uns u. bat uns, bevor wir d. Biblioth[ek] verließen,
einen Blick auf die kleine Ausstellung zu werfen, die er so frei war, für uns zusam-
menzustellen. Natürlich taten wirs, es waren Stiche u. Holzschnitte Dürers, Lukas
v. Leyden, der Kleinmeister, Meryons, ein Band mit französ[ischen] Portraitstichen.
Alles wirklich sehr nett u. gut gemeint. Wie abgebrüht ist man doch, wenn man in der
Albertina aufgewachsen ist
…83
Unter den „Modernen“ in d. Gallery hat uns Watts viel Spaß gemacht, unter den
älteren Stubbs 1724 bis 1800 und einiges, ein Schimmel in großer Landschaft vor
einem Löwen zitternd ; d. Landschaft mit Tizianischem Pathos, der Löwe – nur
sein Kopf ein bißchen komisch, aber d. Schimmel wirklich schon Schreckgespenst
durchgezittert, das heißt zu einem nicht mehr lebendigen Wesen vor lauter Schreck.
(Nachtrag von gestern : wir haben in Christ Church die Musikerin Sobotka-Peßl ge-
troffen. Sie ist seit 3 Tagen in Europa u. war furchtbar verkühlt. Sie erzählte, daß
Heinz sie einmal besucht hätte
–).
3. [Juli]
abends (sehr schläfrig) in d. Lounge des Hôtel Parkside, in Dublin, aber am End’ d.
Welt, wo uns Direktor Mahr anempfohlen hatte, ein Zimmer zu nehmen. 3. Juli, ver-
steht sich und d. Kamin geheizt. Sehr schläfrig, weil es heut nacht ganz anders kam,
als wir gehofft hatten. So viele Leute konnten keine Kabine bekommen, es war in d.
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien