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Tagebuch 1937/2
Zeichnungen haben wir nur 2 venezian[ische] (und einen interessanten „Zurbaran“,
der sehr Bassano-artig aussah) gefunden. Aber vielleicht hat Furlong, der Montag
zurück sein wird, welche in store.
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5. [Juli]
(draußen gießt es). Gestern war ein wunderbarer Tag. Wie dankbar ist man, wenn
man klares Dunkelblau u. weißgeballte Wolken sieht ! Nach so viel schwülen u.
feuchten Tagen. Die ganze Stadt hatte ein andres Gesicht. Allerdings dauerte der
Zauber nicht lange. Klarte erst spät auf u. heute wiederum
– brrr. Wir waren um ½ 12
vor dem Museum, wo Mahr in Begleitung eines Dr Hartmann aus Oldenburg, der
hier auf 1–2 Jahre keltische Sprachforschung betreibt, uns aufsperrte. Ein netter jun-
ger Mann, der in intelligent schwieg, während Mahr, typischer Fall des Skurrilwer-
dens in verschlagener Exilstellung (notwendige Selbstüberschätzung, schon um sich
in der eigenen Familie halten zu können, vieles hatte sich am heimatlichen Stamm-
tisch der Gleichinteressierten abgerieben) ununterbrochen tradierte. Und worüber !
Über ein Material, das (zugestandenermaßen) für uns kaum Interesse hatte. Glas,
Porzellan, Parapluis, Kunstgewerbe jeder Art, wie es mit d. Bequester in jedes zentrale
Institut kommt. Und wie ! Vollkommen ohne Kenntnis
– die verlangt man auch nicht
von einem über diesen Ableitungen nur schwebenden Direktor – und ohne irgend-
einen Sinn für Historie. Es scheint, daß d. Prä-Historiker keine Lehre aus d. Histo-
rie ziehen kann. Er sprach von d. absoluten Minderwertigkeit der Stile der letztver-
gangenen Generation, von Geschmacklosigkeiten, denen für alle Zeiten nie mehr
etwas positiv Wertendes nachgesagt werden wird. Und sagt es in so gewissenhaft
grammatikalisch durchkonstruierten Sätzen, als würde er einen neuen Duden her-
ausgeben wollen), daß man dazu immer seinen kleinen sicher klug ausschauen[den]
irländischen Staff herumstehen sah, der hinter d. Hand ein Zwinkern u. Gähnen
verbarg. Natürlich war niemand von dem Staff da, die waren am Sonntagvormittag
viel zu klug, ins Museum zu kommen, sondern nur wir u. der stumme u. intelligent
schweigende Doktor aus Oldenburg. Dann führte er uns in d. Keller u. zeigte uns
seine „Funde“. Ein in Laden aufgeteiltes Krahuletzmuseum. Das wird ja gewiß sehr
wichtig sein u. ich mag nichts negatives darüber sagen ! Um ½ 2 gingen wir auseinan-
der u. hatten die uns wirklich interessierenden irisch-frühchristl[ichen] Dinge nicht
gesehen !
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Wir aßen eine Chokoladetafel, gingen auf 2 ½ Stunden allein in d. Galerie, wo wir
viel Spaß miteinander hatten und dann in d. Phoenix Park, gleich bei unserm Hôtel.
Das war herrlich. Am Parkeingang hunderte u. hunderte von kinderreichen Familien
im Grase, bunte Farbspritzer weiß u. rosa und Rosenbeete weiß u. rosa. Dann ein
lustiges Hundetreiben um einen Teich mit verzweifeltem Widerstand, […] Genuß u.
verschämtem Naßsein ; weiter dann große Flächen mit dilettierenden Footballern u.
d. nationalen Criquett, das für d. uneingeweihten Zuschauer gar nicht belustigend ist.
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien