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Tagebuch 1938/1
ter in S. Nazaro ist nichts bekannt. Es war einmal L[ukas] v. Leyden zugeschrieben,
wird in d. neuesten Lit[eratur] (eine getippte Diss[ertation] über d. Kirche) „eher ei-
nem Schweizer“ gegeben. In d. Ambrosiana in d. Klebebänden viele venez[ianische]
Z[eich nung]en gefunden, es werden wohl ein Dutzend Aufnahmen sein. Eine – die
uns nichts angeht – sieht aus, als hätte sie ein Franzose (à la Gourmond) gezeich-
net. Vor allem haben wir fast ganze Bände voll Blätter von Panza gefunden, die es
ganz außer Zweifel lassen, daß unsere Zuschreibung d. gewissen Tizianz[eichnung]
an Panza zutrifft. Nach Schluß d. Bibliothek waren wir in d. Sopraintend[enza], die
im Palazzo Reale beim Dom ebenerdig neu – u. köstlich – eingerichtet ist. Dr. Dell’
Acqua, an den uns Morassi gewiesen hatte, war nicht anwesend, dagegen eine Dot-
toressa –Wilkens (?) –, die sich vor Liebenswürdigkeit zerriss. Sie erreichte tele ph[o-
nische] Anrufe, Empfehlungsschreiben, […], Adressen mit Hilfe eines aufgewirbelten
Staffs binnen weniger Minuten, die sie überdies mit Omaggi, si figuri etc. noch auf-
füllte. Als Österreicher, der dagegen ist, (was vorausgesetzt wird), ist man hier in Ita-
lien jetzt sehr protegiert. Besonders d. Geistlichen in d. Ambrosiana stimmen sofort
in dieses Horn. Einer brachte uns die Zeitung, in der eine Rede d. Papstes wiederge-
geben ist, die sich gegen d. Hakenkreuz wendet
…
Wir haben dann am Amexco einen Brief v. Dolly behoben (sonst leider nichts),
mit Pesaro ein Rendezvous für Samstag 3h abgemacht u. sind nachhaus. Ci siamo.122
6. Mai (wieder vor d. Nachtmahl)
Wir waren gestern nach d. Nachtmahl noch mit einem aus Berlin 1933 emigrierten
Arzt beisammen (Haut), an den uns Frau Reifenberg gewiesen hatte. Er heißt ir-
gendwie schwer auszusprechen (polnisch), ist Baritonsänger, tritt aber nur im Radio
in Lugano auf
– hier darf mans gar nicht wissen. Es war ganz nett
– u. unnötig. Heut
haben wir uns erst d. beiden wirklich sehr interess[anten] Photos von d. Glasfenstern
geholt u. dann in d. Ambrosiana die Bände aufgearbeitet u. aufphotographiert. Um ¼
drei waren wir bei dem sehr netten – u. sehr luxuriös wohnenden – Sammler Rasini,
zusammen mit Morassi. Er hat nur wenige Bilder, darunter einen Bartolom[eo] Ve-
neto, ein Gruppenbild mit zwei männl[ichen] u. zwei weibl[ichen] Musikern, lachende
helle Wesen – wundervoll ! Darunter hing ein Bildchen, das ganz nett war ; eine Art
Devise für jemanden, der etwas auf d. Judith hält. Irgendwie terra ferma mit Hügeln u.
allem was sonst zu einer Landsch[a]ft. gehört wie Versatzstücke aufgestellt. Morassi
hält es f. Giorgione. Ist dieses Bild Anstoß für das Giorgionebuch, das er schreibt[?].
In diesem Fall wär’ ich schon etwas ängstlich
… Die Zeichnungen
– vielleicht 1000 !
für uns nur ein paar, die in Betracht kommen. Einiges Gute, das meiste absolut unin-
teressant. Morassi ist übrigens ein Kind (d. h. ahnungslos). Wir haben ihm dann bei
uns im Café ein paar Sachen gezeigt, d. wir in Photos herumtragen. Er war von allem
(vor allem von dem „Michelangelo“) entzückt u. nahm Photos für Rasini mit.123
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien