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Tagebuch 1938/1
ser deutsch fortgesetzt wurde (Diesen Satz bitte ich zu wiederholen !) und heute war
es nicht ganz so anstrengend als vorigen Sonntag, aber noch ergiebiger ! Wir haben
viele Kirchen gesehen u. waren am Vormittag im Brera. Dort ist ein Bild (Pfingst[en])
von Nuvolone, auf dem ein hl. Johannes (wenn ich nicht irre) (glaub ich) denselben
Kopf hat wie die bunte Z[eichnung] „Tintoretto“ in Wiltonhouse (?) (– oder Chats-
worth ?). Bei der Anbet[un]g d. Könige, die dem jungen Correggio gegeben wird, ha-
ben wir an unsere ferrar[er] Z[eichnung] denken müssen. Die große Hand, die Spin-
delbewegung. (Wir haben d. Photo gekauft). Wir haben auch mit viel Vergnügen d.
Strozziportr[ät] „erkannt“, da es dem gestrigen Bild glich !124
Auf d. Domplatz im Ristor[ante] di Commercio eine collatione igienica gegessen,
die zwar kaum billiger, aber dafür leichter war als das übliche Lunchessen, das wir
am Sonntag im Gasthaus einnehmen müssen. Nach Tisch waren wir in d. Ambro-
siana, was wiederum sehr interessant u. genußreich war. Wir haben unten l[inks] im
Kastel VIII, im Lionardosaal, unter dem Sammelnamen Lionardo-Schüler eine Sil-
berstiftz[eichnung] von Ambrosius Holbein gefunden – u. gleich ein Photo bestellt.
Dann wieder Kirchen, u. a. S. Lorenzo, mit den antiken Säulen draußen. […] Müde
nachhaus, wo wir ausruhten u. arbeiteten ! Wieder dann in d. Stadt genachtmahlt u.
heimgeschlendert
– Gutenacht. (Hans heut abends zum erstenmal ohne Mantel.)125
9. [Mai]
Heute war ein guter Posttag. Ein so lieber Brief vom Anderl. Sommerpläne – mit
uns. Wir schreiben ihm sogleich, daß er zu uns nach Venedig kommen soll. Burgs
gefällt die Z[eichnung] sehr gut. Geld von d. […]. Im Castello wurde kein Buch u.
kein Photo gefunden u. d. Z[eichnung]en waren auch nicht zu sehen, wie man uns
versprochen hat. Dafür stellte uns d. Direktor einen Herrn Heimann vor, der uns in
seinem Wagen in seine Wohnung führte u. sich dort als der originellste Kunsthändler
entpuppte, den man sich denken kann. Ein sehr reicher russischer Sammler (Kiew),
Besitzer von zwei Theatern, 1923 ohne alles geflohen, dann Polen, Berlin, Wien seit
4 Jahren Mailand. Er hat alles, was gut u. teuer ist. Primitive Sieneser, den toten Bre-
ra christus in einer frühen Fassung (ohne d. seitl[ichen] Figuren), Tintoretto u. Tizian,
Palma Vecchio u. s. f. Aber er hat noch viel mehr, was sehr gut u. nicht so teuer ist, die
entzückendsten Namenlosen u. […]-Benannten d. 17. u 18. Jhs bis ins frühe 19. hin-
ein. Ein ganzes Museum voll Bilder – lebendiger Kunst ! An d. Barbieri (den Bruder
Guercinos) Mehrkatze mit Früchten u. Blumen werd’ ich noch lange denken. Was
er nicht im Orig[inal] vorführte, haben wir in ausgezeichneten Photos gesehen. Die
letzten Ereignisse haben ihm seine Nerven gekostet. Er will nach Amerika, d. h. will
drüben ein Geschäft haben, um d. Möglichkeit zu haben. Er lud uns zum Speisen ein,
in ein Lokal, in das wir niemals allein gegangen [wären] u. setzte uns Speisen vor, die
wir an einem Tag auf einmal niemals bestellt hätten. Den so beschwerten Nachmittag
führten wir in ein paar Kirchen u. d. Park hinterm Kastell zuende. Schließlich im Bett
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Band II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
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- Titel
- Erica Tietze-Conrat
- Untertitel
- Tagebücher
- Band
- II: Mit den Mitteln der Disziplin (1937–1938)
- Herausgeber
- Alexandra Caruso
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 346
- Kategorie
- Biographien