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rive gauche blindlings und in voller Rage ihr entgegen.“88 Während Berichte
überdenElandieser Zeitüberwiegen,existierenauchgegenteiligeZeugnisse; so
erscheintdemimösterreichisch-ungarischenGaliziengeborenenManèsSperber,
der vor Kriegsbeginn vonWiennachParis gegangen ist, die Stadt nun so abge-
nütztund
soverwahrlost,daßmansich fragenmußte, ob ihre schlechtangezogenenabgemagerten
Bewohner es überhaupt nochmerkten. Mehr als irgendeine andereWeltstadt war Paris
dieHeimatderHeiterkeit gewesen […].Nunaberstießmanüberall aufgriesgrämigeMen-
schen,dieungerndieNähederanderenertrugen89.
Auch inWien findeternachdemKrieg„nichtdieelegant-leichtlebigeStadt seiner
Jugendwieder“90, sondern eine in fortgeschrittener Provinzialisierung begriffene.
Sein Eintreffen liegt zeitlich am Ende einer zuvor durchaus vorhandenen Auf-
bruchsstimmung. So erinnert der in Wiener ExistentialistInnen-Kreisen verkeh-
rendeMaler Rudolf Hausner: „Eswar eine großartige Zeit.Wir hatten alle nichts
zu essen, aber die Stimmungwar fabelhaft.“91 Diese „existenzialistische Lebens-
phase zwischenBohemeundPrekariat“92 inWien sieht der jungeAutor Gerhard
Fritsch begleitet von „geradezu unösterreichischen Hoffnungen und Erwartun-
gen“93. FriedrichHeer, seinerzeit freier Schriftsteller,meint, die „miese Situation,
dieKärglichkeitderGesichter,derHeimkehrerausKriegundEmigration“änderten
nichtsdaran,dasses fürkurzeZeit„einoffenesÖsterreich“gab,mit„Hoffnung in
der Luft“ und „Begegnungen vonMenschen, die wenige Jahre später sich nicht
mehr trafen, auf der Strasse abgewandtenGesichts vorübergingen.“94Herbert Ei-
senreichzufolgehatdieAtmosphäredesAufbruchs,dieeralsStudentmiterlebt–
unddie inÖsterreichbaldder Erkenntnisweicht, „daßalles nurnoch schlimmer
gewordenwar, verlogenernämlich“–Gültigkeit für„wahrscheinlichalle jungen
88 JeanAméry:ÜberdasAltern.RevolteundResignation.München1991,S. 25f.
89 Sperber:BismanmirScherbenaufdieAugenlegt,S. 238.
90 Mirjana Stančić: Manès Sperber. Leben undWerk. Frankfurt am Main und Basel 2003,
S.430.
91 RudolfHausner:EswareinegroßartigeZeit (1981). In:Breicha (Hg.):DerArtClub inÖster-
reich.MonographieeinesAufbruchs.Wien1981,S.39–40,hierS.39.
92 ThomasMießgang: IngeborgBachmann:„Inmir istdieHölle los“. In:DieZeit, 23.03.2016.
93 GerhardFritsch:Literatur. In:BreichaundFritsch (Hg.):AufforderungzumMisstrauen.Li-
teratur,BildendeKunst,Musik inÖsterreichseit 1945.Salzburg1967,S.7–9,hierS. 7.
94 FriedrichHeer:Nach1945. In: Jung (Hg.):VomReichzuÖsterreich.KriegsendeundNach-
kriegszeit inÖsterreich erinnert vonAugen- undOhrenzeugen.München 1985 [1983], S. 150–
161,hierS. 157f.
36 3 GrundlagenundGründungsmythen
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur