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Zeemannproblematisiert hier die Sehnsuchtnachkünstlerisch vermittelterAbso-
lution, die zu stillen dem Stückweithin vorgeworfenwurde. Bei der Diskussion
nachdervonJürgenFehling inszeniertenBerlinerAufführung imJänner 1948un-
terstelltmanSartre,derBevölkerungmitder„HeroisierungdesorestschenVerbre-
chens eine gefährliche Generalabsolution“184 zu erteilen. Angesprochen scheint
damitvorallemdieSzene, inderOrestReuefürseinenMordvermissen lässt:„Ich
habe meine Tatgetan,Elektra,unddieseTatwargut. Ichwerdesieaufmeinen
Schultern tragen […]. Und je schwerer sie zu tragen ist, um somehr werde ich
michfreuen,dennmeineFreiheit,das istdieseTat.“185 („J’ai faitmonacte,Électre,
et cet acteétait bon. Je leporterai surmesépaules […]. Etplus il sera lourdàpor-
ter,plus jemeréjouirai,carmaliberté,c’est lui.“186)Reue,wirdspäterderösterrei-
chischeTheologe JohannFischl schließen, ist hier als schlichte „Umformungder
inneren Gesinnung“ geradezu „eine Aufforderung an alle Gesetzesverächter, zu
stets neuen Untaten anzusetzen“ (und folglich überhaupt „nie ärger mißdeutet
worden als bei den Existentialisten“187). Ähnlich sieht es schon früh Sartres spä-
tere Kontakt-Person inWien, Günther Anders, in der umfänglichenBesprechung
„OnSartre [TheIllusionofExistentialism(Sartre’s ‚LesMouches‘)]“:
It doesn’t seemunlikely at all, that the idea of the „remorseless act“, when offered as a
general ethical proposition,may give the good conscience of remorselessness to people
whomSartre not onlywould have fought butwhose very existencewas the inducement
for him to formulate his fight against remorse. Just imagine aGermanwar-criminal rea-
ding the play; aman steeped to his neck inwhat has been called „collective guilt“: He
willgladly renouncecontritionbeforeevenstartingon it;hemayevendistortormisinter-
pret thewaragainst the flies inawayto justify theruthlessnessofhisownpast.Thesimi-
larity between Hitler’s unswerving identification of his decision with morality, and
Orest’skillingof the flies is certainlysuperficial:but for superficial readers itmaybepuz-
zling;andforhypocriticalones tempting,oreven inviting.188
Selbst wenn die Botschaft nicht in falsche Hände gerät, herrscht Zweifel hin-
sichtlich ihrer Dienlichkeit für die zumindest in Westdeutschland diskutierte
Vergangenheitsbewältigung. Ob sie nicht „eine konkrete Aufarbeitung der Ver-
gangenheit gerade verhindert“, fragt Mechtild Rahner in Anbetracht der
„enthistorisierendenAnalogie“, obesüberhauptstatthaft sei,„Resignationund
184 K.W.:SartrezwischendenvierSektoren. In:DieZeit, 12.02.1948.
185 Sartre:DieFliegen,S.59 (Hervorhebung imOriginal).
186 Jean-Paul Sartre: LesMouches. In: Sartre: Théâtre complet. Éditionpubliée sous ladirec-
tion deMichel Contat, avec la collaboration de JacquesDeguy et al. Paris 2005, S. 1–70, hier
S. 53 (Hervorhebung imOriginal).
187 Johann Fischl: Idealismus, Realismus und Existentialismus der Gegenwart. Ein Beitrag
zurAusspracheüberdieWeltanschauungdesmodernenMenschen.Graz1954,S.315,314.
188 Anders:OnSartre (LIT),Blatt 16.
3.2 Résistance,OpfertheseunddasÜberspringenvonLesMouches 57
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur