Seite - 58 - in Existentialismus in Österreich - Kultureller Transfer und literarische Resonanz
Bild der Seite - 58 -
Text der Seite - 58 -
einedadurchverursachtemilitärischeNiederlageaufder einen,aufderanderen
Seite dagegen die faktische Schuld eines millionenfachen Völkermordes über
einen derartigen ‚Vergleichsleisten‘ zu schlagen“189. Joseph Jurt sieht gerade in
dieserdiehistorischenDifferenzenvernachlässigendenUniversalisierungderSi-
tuation einenmöglichenGrund für die „massiveResonanz“190 des Existentialis-
mus in Deutschland. Für Joachim Eberhardt erklärt sich die Attraktivität der
Lehreebenfallsdadurch,dasssichmit ihrerHilfedieKrisedesSelbstverständnis-
ses der Kriegsgeneration „existentiell statt historisch interpretieren ließ“191. In
diesem Sinne einer „Entkonkretisierung philosophischer und einer Derealisie-
rung literarischer Diskurse“ (beziehungsweise Ontologisierung der Schuldfrage
undAktualisierungantikerStoffe) entlasteDieFliegendiePsychedesPublikums
undleiste„derkollektivenVerdrängungderkonkretenSchuldfrageamEndedes
Dritten Reichs Vorschub“192, meint auch der Germanist Johann Sonnleitner,
wobei sich die Theoriemangels eines nennenswerten Rezeptionsgeschehens in
Österreichnur ineingeschränktemMaßmitderPraxisdeckt.Zudenwenigenös-
terreichischen KritikerInnen an der Manier, mit der dieDie Fliegen-Darbietung
„die jüngsteVergangenheit ineingeschichtslosesGrauen“193 stellt,gehörtneben
HildeSpiel,die imbritischenNewStatesmanwagt,„SartreunddenExistentialis-
mus zu einem Zeitpunkt anzuzweifeln, an dem der jahrzehntelange Siegeszug
diesesAutorsundderPhilosophieebenerst begann“194, auchOttoBasil, dessen
ZeitschriftPlanzuden frühesten ImporteurInnenexistentialistischerProsazählt.
InseinemTheaterzettelzuAnouilhsAntigoneheißtes1946:
Undes ist tiefbedeutsam,daßAnouilhsGenerationsgenosse, der französischeDichter-Phi-
losophJean-PaulSartre, indemeraufeinenStoffderäschyleischenOrestiezurückgreift, in
„Les mouches“ der menschlichen Existenz das gleiche Schuldmotiv unterschiebt, dem
189 Rahner: Jean-Paul Sartre als Modell des Intellektuellen, S. 339, 326 (Hervorhebung im
Original).
190 Jurt: Ein transnationales deutsch-französisches literarisches Feld nach 1945?, S. 222; cf.
S. 224.
191 Eberhardt:ExistentialphilosophieundExistentialismus,S. 212.
192 Sonnleitner: Existentialismus im Nachkriegsösterreich. Zu Jelineks Roman Die Ausge-
sperrten, S. 83. ZumThemahält Karl Jaspers eineVorlesungsreihe (1945–1946) über die geis-
tigeSituation inDeutschland, indereinerabstraktenKollektivschuldund -reuedie„wirkliche
Verwandlung“ inder konkretenSituationvorgezogenwird, „durcheinzelne, imEinzelnen, in
zahlreichen Einzelnen, unabhängig voneinander oder in bewegendemAustausch.“ Karl Jas-
pers:DieSchuldfrage.Heidelberg1946,S.89.
193 Peter Roessler: Die Rekonstruktion eines Genres. Theaterpublizistik im „Neuen Öster-
reich“. In:Haider-PreglerundRoessler (Hg.):ZeitderBefreiung,S.340–378,hierS.361f.
194 HildeSpiel:WelcheWelt istmeineWelt?Erinnerungen1946–1989.München1990,S.82.
58 3 GrundlagenundGründungsmythen
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur