Seite - 98 - in Existentialismus in Österreich - Kultureller Transfer und literarische Resonanz
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von Intellektuellen, SchriftstellerInnen und PhilosophInnen, sondern auch in
Saint-Germain-des-Prés aktiveMalerInnen,MusikerInnenundSchauspielerInnen.
So ist der Existentialismusamehestendurch seineLokalisierunggreifbar, als ein
diffuses soziokulturellesPhänomendes6.PariserArrondissements.5 Jeneram lin-
ken Seine-Ufer gelegene Ballungsraum von Fakultäten, Buchhandlungen, Verla-
gen, Theatern, Clubs undKaffeehäusern kann 1949 inÖsterreich als hinlänglich
bekanntvorausgesetztwerden,wiefolgenderAuszugausKulturelleszeigt:
Am Boulevard St. Germain wohnen, wie jedermann von Timbuktu bis Amstetten weiß,
die Existentialisten. Tatsächlichwohnen auch andere, Schriftsteller undMaler, Philoso-
phen und Traktätchenfabrikanten dort, aber sie stehen hinter dem größeren Ruhm der
Existentialisten zurück.MancheLeute behaupten, JeanPaul Sartre sei einMythos, keine
wirklichePersönlichkeit, vomFremdenverkehrsvereinundderBuchzentralezurÜberbrü-
ckungderKriseerfunden.6
In der Tat ist Sartre dank seiner „profoundaversion to privacy, secrecy, to the
bad faith of concealment, inhibition,masquerading, andposturing“7 unddem
damit einhergehendenWunsch, so langewiemöglich in der Öffentlichkeit zu
arbeiten, als Sehenswürdigkeit soweit touristischerschlossen,dassamerikani-
scheReiseleiterInnengesondert auf ihnhinweisen.Nachdemder Existentialis-
mus–nicht anders als „in der Schweiz, Italien, SchwedenundEngland“ – in
den Vereinigten Staaten „einen immer größeren Zulauf“ erhält, wird der
„freundliche und weich veranlagte Sartre“ auch in den Presse-Schilderungen
der amerikanischen Streitkräfte in Österreich ins Zentrum „der fröhlichen Ge-
selligkeit desCafé Flore,wo langmähnigeKünstler, Schriftsteller, Universitäts-
professoren und Filmdirektoren bei ihremFünf-Uhr-Aperitif ihre intellektuelle
Konversation pflegen“8, gestellt. Das „Café de Flore“ und das „DeuxMagots“
verkörpernnichtwenigerals„KreuzungspunkteEuropasundderWelt“:„Ame-
rikanischeSchriftstellerkommenundgehen,einenglischerPhilosophplaudert
5 Cf. JacquesDugast:LaSituationculturellede laFranceaprès1945. In:Eßbach(Hg.):Welche
Modernität?,S. 305–316,hierS.309.
6 o.V.:LaRiveGauche/PariserFeuilleton. In:Kulturelles, 12.09.1949.
7 EduardoMendieta: The City and the Philosopher: On theUrbanismof Phenomenology. In:
Philosophy & Geography 4 (2001), Nr. 2, S. 203–218, hier S. 208. Sartre bleibt, erinnert sich
Manès Sperber, auch inderÖffentlichkeit „in SpracheundGebärde von jeder Pose frei“: „Im
persönlichenVerkehrerwiessichSartrealsüberaus freundlich, jaherzlich […]. SeinErfolgwar
ihmnicht zuKopf gestiegen, seineUmgangsformenänderten sich auch später nicht, als er in
derganzenWelt soberühmtwurde,daß Intellektuelleund fortschrittlicheBürger sich inallen
Dingen nach ihm zu richten begannen.“Manès Sperber: Nur eine Brücke zwischen Gestern
undMorgen.München1983 [1980],S.40.
8 UP.:PhilosophiederVerantwortungundMoral. SartreunddieGrundgedankendesExisten-
zialismus. In:WienerKurier,05.12.1946.
98 5 DerExistentialismusalsSubkultur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur