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Schon imEinleitungssatz artikuliert sich laut Sabine Scholl „dieNichtzugehö-
rigkeitderBeobachterin“14,die inweitererFolgeKritikanderOberflächlichkeit
derExistentialismus-AdeptInnenübt,denendereigentlichephilosophischeGe-
haltunverständlichbleibt:
ImCafédesdeuxMagotsgingenzweiherum,singendohneMelodieundGitarrespielend,
wiewenn ein Fleischer Kühe tötet. Unddie Fremden zahlten, dankbar und entzückt. Im
Café deFloredaneben sitzt Sartremanchesmal, und sie verehren ihnwie einenGott aus
fremdenLändern. Sie lebenseineBücher, die sienicht verstehen.Sie tanzenund trinken
sichzuTod.Siehungern,abersiesind frei.Sieekelnsichvoretwas,dassieniebegreifen.
Am „Boul-Mich“ treiben sie auf und ab, Nachmittage lang; sie haben nichts zu tun. Sie
fürchtensichvoreinemEndeunderstickensich.15
DasexzessiveTrinkenundTanzengehörtzueinemVerhaltensspektrum,dasdas
unmoralische Image des Existentialismus weithin befördert; so zieht Han[n]s
Mayer zufolgederSartresche„Geistesnebel“bis indieUSA,womandieCollege-
Jugendsagenhört:„‚Vatererzählt immerMutter,erseiabendsbeigeschäftlichen
Sitzungen.DabeikamergesternheimundrochnachWhiskywieeinExistentia-
list…‘.“16MayersAnekdote lässtaneineBemerkungSartresaus IstderExistenti-
alismuseinHumanismus?denken:
KürzlicherzähltemanmirvoneinerDame,die,alssieausNervositäteinvulgäresWort fallen
ließ, sich entschuldigte: Ich glaube, ich werde Existentialistin. Demnachwird Häßlichkeit
dem Existentialismus gleichgeachtet; und darum erklärt man uns für „Naturalisten“; und
wennwires sind,kannmansichdochwundern,daßwirweitmehrSchreckenundÄrgernis
erregen, als es der eigentliche Naturalismus heute tut. Jemand, der ohne weiteres einen
RomanvonZolawie „La Terre“ schluckt, ist angeekelt, sobald er einen existentialistischen
Roman liest; derselbe, der die Lebensweisheit der Völker–die höchst traurig ist– für sich
anwendet, findetunsnoch trauriger. […]Mansoll nicht gegendie etabliertenMächtekämp-
fen,mansollnichtgegendenStromschwimmen,mansollnichtüberseineStellunghinaus-
trachten, jedeHandlung,diesichnichteinerÜberlieferungeinfügt, istRomantik17.
(Une dame dont onm’a parlé récemment, lorsque par nervosité, elle lâche unmot vul-
gaire, déclare en s’excusant: „Je crois que je deviens existentialiste.“Par conséquent, on
assimile laideur à existentialisme; c’est pourquoi ondéclarequenous sommesnaturalis-
tes; et si nous le sommes, onpeut s’étonnerquenouseffrayions, quenous scandalisions
beaucoupplus que le naturalismeproprement dit n’effraye et n’indigne aujourd’hui. Tel
qui encaisseparfaitementun romandeZola, commeLaTerre, est écœurédèsqu’il lit un
14 Sabine Scholl: Sex, Gott undAlkohol–Hertha Kräftners „Pariser Tagebuch“. In: Polt-Heinzl
(Hg.):„ZumDichtengehörtBeschränkung“.HerthaKräftner–ein literarischerKosmosimKontext
der frühenNachkriegszeit.Wien2004,S.122.
15 Scholl:Sex,GottundAlkohol,S. 120f.
16 HannsMayer:MetaphysikundBee-Bop. In:DieZeit, 17.05.1951.
17 Sartre: IstderExistentialismuseinHumanismus?,S.7ff. (Hervorhebung imOriginal).
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Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur