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aufgefasstenLesMandarins (1954) porträtiert („[l]es petits zazous, le jazz, les
caves qui puent le tabac et la sueur“40). DiesesWerk ist Beauvoirs einziges,
das in der österreichischen Presse der Besatzungsjahre einen deutlichenWi-
derhall erfährt. Zuvor findet sie die längste Zeit lediglich als bekannteste
„Schülerin des ‚Papstes des Existentialismus‘“41, als „Jean-Paul Sartres
Frau“42 oderbis zueinemgewissenGradalsReiseschriftstellerinmitL’Améri-
queau jour le jourErwähnung; ihr fundamentalesWerkLedeuxièmeSexe, das
1951 erstmals in deutscher Sprache erscheint, wird als pornographisch ver-
worfenund ignoriert.43Da sichdieBegegnungmitLesMandarinshauptsäch-
lich 1956 vollzieht, kurz nach Sartres zweitem Skandal-Auftritt 1954 inWien
(cf. Kap. 8.2), findet der dadurch als prokommunistisch gelesene Roman vor
allem durch seine Einblicke in das zügellose Intellektuellenleben in Pariser
Kellern (mehrheitlichnegative)Beachtung.
So wie sich das Pariser Geschehen hauptsächlich unterirdisch abspielt –
weshalbVian in seinemManuel de Saint-Germain-des-PrésdieHauptakteurIn-
nen alsDauerbewohner desUntergeschosses („habitants permanents du sous-
sol“),wennnichtalsTroglodyten („troglodytes“44)bezeichnet– trifft sichauch
die Wiener Avantgarde unter Grund: Der im Februar 1947 gegründete „Art
Club“, nach Gerhard Rühm „sammelbecken aller – damals noch spärlichen –
fortschrittlichen künstlerischen tendenzen“45, bekommt im Dezember 1951 in
40 SimonedeBeauvoir:LesMandarins.Paris 1954,S.18.CunoFischer (Existenzialisten. In:Die
Zeit,06.08.1953)veranschaulichtdassimpleErfolgsrezept:„MankannKellerkneipenzubegehr-
ten Etablissements machen, wenn man es versteht. Ein Kneipenwirt verstand. Er ließ den
SchwamminMauerrissen, ließdieGlühbirne ohneMilchglaskugel, ließdieReste blumiger Ta-
petenhinterderTheke lockerhängen, ließsichnicht rasierenundtrugschwarzkonturierteFin-
gernägel. Irgendwie–diesesWort ist demFluidumdienlich–hörte irgendwer davon.Undda
kamensieschon:Die,vondenendieanderensagen, ‚dassindExistenzialisten‘.“
41 o.V.:LesMainsSales [SchmutzigeHände]vonJean-PaulSartre. In:Kulturelles,26.04.1948.
42 Kauer:DieMandarinsvonParis. In:Volksstimme,20.01.1955.
43 InderbreiterenÖffentlichkeitalsFeministinwahrgenommenwirdBeauvoirabdensiebziger
Jahren, insbesondere ab 1978, dem Jahr, in dem sie als erste Fraumit dem „Österreichischen
Staatspreis fürEuropäischeLiteratur“ausgezeichnetwird.AusdiesemAnlasswurdesie (zusam-
menmitdemzufälliganwesendenSartre)vonder JournalistinKristaFleischmanninParis inter-
viewt – das lange Gespräch ist laut einer E-Mail-Auskunft Fleischmanns vom 27. August 2019
nicht archiviertworden–, 1979 folgt ein zweitesBeauvoir-InterviewvonTrautl Brandstaller für
einORF-Porträt.
44 Vian:Manuel deSaint-Germain-des-Prés, S. 42. [Übers. d.Verf.] Cf. dazuauchdasKapitel
„Saint-Germain-des-Prés“ in Noël Arnauds Les Vies parallèles de Boris Vian (Paris 1970,
S. 137–161).
45 Rühm:dasphänomen„wienergruppe“, S. 17.
5.1 Modeundmodedevie:VonSt.Germain-des-Prészum„Strohkoffer“ 105
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur