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waren, als es zu viele Raufereien gab und der Klub in Mißkredit zu geraten
drohte“74. Auf Negativschlagzeilen bauende RedakteurInnen enttäuscht das
Nachfolge-Lokal „Exil“, in demes auf einmal „höchst solide“ zugeht, die Ver-
anstaltungen erreichen „ein beachtliches Niveau“, die KünstlerInnen sind
plötzlich nichtmehr „arbeitsscheu“75. So heißt es am9. Dezember 1954 in der
Tageszeitung Bild-Telegraf: „Zu ebener Erde geht es eben nicht so ‚hitzig‘ zu
wie imKeller. Diese Tatsache läßt aber für die Zukunft vom ‚Exil‘ doch einige
ernsthaftekünstlerischeÄußerungenerhoffen.“76
NachdembaldigenEndevon „WiensExistentialistenlokal par excellence“77
kommt es in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zu keiner vergleichbaren
räumlichenVerdichtungmehr, auchwenn sich imLaufe der Zeit einzelne Pro-
tagonistInnen und kleinere Kreise im „Dom-Café“ (Singerstraße), „Espresso
Stambul“ (Fleischmarkt)und im„Gutruf“ (Milchstraße)einfinden,undsichetwa
das in der Dorotheergasse gelegene „Café Hawelka“mit Gästen wie H. C. Art-
mann, OswaldWiener und Gerhard Rühm „als existenzialistisch angehauchter
Literaturtreff“78 verstandenwissenwill. Als „[ü]berfüllt“ und „sakralisiert nach-
träglich durchBayer unddieWiener gruppe, die es längst nichtmehr gab“, be-
zeichnet es der Literaturwissenschaftler Mayer, womit es ihm wie ein „Wiener
Gegenstück zumPariser Caféde Flore nachdemAuszug vonSartre“79 erscheint.
ZueinerAlternativeentwickelt sichdas„CaféSport“ inderSchönlaterngasse,das
fürseinPublikum„dasVersprechenbirgt,dasseseinenwayoutausdiesemuner-
träglichen, kleinbürgerlichen Autoritarismus gibt“; Franz Schuh nennt es „eine
Richtungsentscheidung,obmaninsCaféHawelkagehtoder insCaféSport“,denn
Letztereswar
metaphorisch gesagt, so etwas wie ein Kaffeehaus für die Fremdenlegionäre der Stadt,
ein wüstes Lokal mit Musikbox und einer verdrehten Auffassung von Freiheit. Es war
wunderbar!Auchdas sollman logischerweisenicht romantisieren. Soziologischbetrach-
tet,gabesdortdieerstenRauschgiftopferundAlkoholikermeinerGeneration.80
Rausch und Existentialismus verbinden sich an diesemOrt imDichterWalter
Buchebner, dessenGedichte sich als „aggressive Zeitkritik“ gegen „den selbst-
74 Z.-F.:WienerExistentialisten flüchten ins„Exil“. In:DiePresse,22.01.1955.
75 Z.-F.:WienerExistentialisten flüchten ins„Exil“. In:DiePresse, 22.01.1955.
76 L.:BärteundKunst sind im„Exil“. In:Bild-Telegraf,09.12.1954.
77 Z.-F.:WienerExistentialisten flüchten ins„Exil“. In:DiePresse, 22.01.1955.
78 CaféLeopoldHawelka:ProminenteGäste imHawelka.http://www.hawelka.at/cafe/de/pro
minente-gaeste/ (einges.09.01.2019).
79 Mayer:DieumerzogeneLiteratur,S. 212.
80 FranzSchuh:Wartenaufnichts. In:SeppDreissinger: ImKaffeehaus.Gespräche.Fotogra-
fien.Wien2017,S. 146–152,hierS. 148f. (Hervorhebung imOriginal).
5.1 Modeundmodedevie:VonSt.Germain-des-Prészum„Strohkoffer“ 111
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur