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Wertekanon, einen umKleinfamilie undWohnung zentrierten, ebenso diszipliniertenwie
homogen-gleichförmigenLebensstil.101
Die hier vonWolfgangMaderthaner undLutzMusner beschriebeneWiederkehr
des Immergleichengehört fürdie eingeengte Jugendzudenausschlaggebenden
Motiven für den Kulturimport des Existentialismus. Ihre Erwartungen erfüllt er
mit einem imKontrast zum(klein)bürgerlichenKonformismusstehenden indivi-
dualistischen Identifikationsangebot.102 Er bewährt sichdamit auch alsAntihal-
tung gegen eine Wiederaufbaugesellschaft, deren einstige geistige Leitlinien
versagthabenundnunoffizielldemVergessenanheimgegebenwerden.
Dass JelineksWien von 1959 nach „Abenteuer, Jazzmusik, Cafés und Aus-
puffgasen“ riecht, da und dort nochmit ein wenig Dreck und Staub „von den
Baustellen, die letzte Ruinenwegräumen undWien noch schönermachen sol-
len“103, lässtkeinenZweifel:Wiederaufbaubedeutet„Beseitigungdersichtbaren
Kriegsfolgen“104,nichtder schwerzubeseitigenden immateriellenÜberreste.Die
in denNationalsozialismus involvierte Elterngeneration verkörpert hier der von
„Pflicht“ schwadronierende ZwillingsvaterWitkowski, ein kriegsversehrter ehe-
maliger SS-Angehöriger, der nun guten Gewissens die Familiemalträtiert: „Die
Geschichtehat sichnach45entschlossen,nocheinmalganzvonvornezubegin-
nen, zu demselben Entschluß hat sich auch die Unschuld durchgerungen.“105
SichgegendieseGenerationaufzulehnen ist indasWesen ihrerKinder frühein-
geschrieben, soder selbst schon 1932 indieSAeingetreteneHelmutSchelsky in
seinerStudieDieskeptischeGeneration:DurchKriegs-undNachkriegsnötesehen
sie sich schon in jungen Jahren „in die Lage versetzt, für den Aufbau und die
Stabilisierung ihres privaten Daseins Verantwortung oder Mitverantwortung
übernehmen zu müssen“106. Obgleich in „den Überlebensprozess integriert –
d.h. als Erwachsene behandelt“, werden sie dennoch „als ‚Kinder‘ gemaßregelt
101Wolfgang Maderthaner und Lutz Musner: Im Schatten des Fordismus –Wien 1950 bis
1970. In:Horaketal. (Hg.):Randzone.ZurTheorieundArchäologievonMassenkultur inWien
1950–1970. (Kultur.Wissenschaften10.)Wien2004,S.31–54,hierS.44f.
102 Ähnlichreagiertdie JugendinWestdeutschlandaufdenExistentialismus:„DiegroßeReso-
nanz, die er findet, gründet sich auf der fundamentalen Erschütterung alles dessen, was dem
LebenderMenschen vor demKrieg Sinn verliehenhat: Religion, Familie, Volksgemeinschaft.“
DieterFelbick:SchlagwörterderNachkriegszeit 1945–1949.Berlin,NewYork2003,S.266.
103 Elfriede Jelinek:DieAusgesperrten.Reinbek1989 [1980],S. 226, 131.
104 Dvořak:ThesenzursozikulturellenEntwicklung inÖsterreich1933bis 1955,S.31.
105 Jelinek:DieAusgesperrten, S. 184, 98.Cf. SylviaPaulischin-Hovdar:DerOpfermythosbei
Elfriede Jelinek. Eine historiografische Untersuchung. (Literatur und Leben 88.)Wien, Köln,
Weimar2017.
106 HelmutSchelsky:Die skeptischeGeneration. EineSoziologiederdeutschen Jugend.Düs-
seldorf,Köln1957,S.86.
116 5 DerExistentialismusalsSubkultur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur