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Welt. Ich verlangte nur eines:man sollemich inRuhemeinBuchbeenden las-
sen.“126Eineandere, freiübernommenePassagebei Jelineklautet:
Jetzt, indemMomenthat ihnendlichderEkelergriffen, sodaßerdieFeder fallen läßt,mit
der er eineGedichtzeile insNotizbuchnotierenwollte, die Tinte verspritzt nutzlos.War es
jetzt der Ekel oder nicht?Nein, erwar es doch eher nicht. Der Raumsieht so spießig aus
wie immer.Kaum,daßer ihmetwasschwerer,dickeroderkompaktererschiene.127
In der Jelinek seinerzeit zur Verfügung stehenden ersten Übersetzung von La
Nauséeheißtes:
Aufeinmalpackteesmich,dieFeder fielmirausderHand,dieTinteverspritzte.Waswar
los?HattemichderEkel gepackt?Nein,daswar esnicht.DasZimmer sahso spießigaus
wie immer.Kaum,daßmirderTischetwasschwerer,dickererschienundmeinFüllhalter
etwaskompakter.128
NachdieserSzenegelangtRoquentinzuderErkenntnis, dassdieVergangenheit
nicht existiert undsomit auchnicht sein imfrühen 19. Jahrhundert verstorbenes
Studienobjekt, ein gewisserMarquis deRollebon,was er als unersetzlichenVer-
lust empfindet: „Wenn von ihmnoch ein paar Knochen blieben, so existierten
sie ganz für sich selbst, in voller Unabhängigkeit, sie waren nichts als ein biß-
chenPhosphat undKalk, Salze undWasser. […] [E]swar nur ein Abbild inmir
selbst, eine Fiktion.“129 RainerWitkowskis Paraphrasewird, als dritte Variante,
miteinemHinweisaufdieentlehntenGedankenversehen:
Abererhat,wieSartre,begriffen,daßdieVergangenheitnichtexistiert.UnddieKnochen
derGetötetenundVerstorbenen, auchder imBettVerschiedenen, sie existierenganz für
sich selbst, in größterUnabhängigkeit, nichts als einbißchenPhosphat, Kalk, Salzeund
Wasser. IhreGesichter sindnurAbbilder inRainer selbst,Fiktion.Eben jetzt empfindeter
126 Jean-Paul Sartre: Der Ekel. Deutsch vonHeinrichWallfisch. Stuttgart, Hamburg, Baden-
Baden1949,S. 130.Cf. Sartre:LaNausée,S. 137:„[J]’enavaispar-dessus la tête,deces réflexi-
ons sur lepassé, sur leprésent, sur lemonde. Jenedemandaisqu’unechose: qu’onme laisse
tranquillementachevermonlivre.“
127 Jelinek:DieAusgesperrten,S. 106.
128 Jean-Paul Sartre: Der Ekel, S. 131. Cf. Sartre: La Nausée, S. 137f.: „Un immense écœure-
mentm’envahit soudainet laplumemetombadesdoigtsencrachantde l’encre.Qu’est-cequi
s’était passé?Avais-je laNausée?Non, cen’était pas cela, la chambreavait sonairpaternede
tous les jours. C’était à peine si la tableme semblait plus lourde, plus épaisse et mon stylo
pluscompact.“
129 Sartre: Der Ekel, S. 132. Cf. Sartre: LaNausée, S. 139: „S’il restait encore de lui quelques
os, ils existaient pour eux-mêmes, en toute indépendance, ils n’étaient plus qu’un peu de
phosphate et de carbonate de chaux avec des sels et de l’eau. […] Seulement ce n’était plus
qu’une imageenmoi,une fiction.“
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Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur